Wandmosaik von Josep Renau kehrt nach Erfurt zurück
Die Wüstenrot Stiftung verfolgt mit unterschiedlichen Projekten die Erforschung, Erhaltung und Sichtbarmachung von kulturellem Erbe in Deutschland, zu dem auch das kulturelle Erbe der DDR zählt. Obwohl sich auch dieses durch große schöpferische Leistungen auszeichnet, ist es durch fehlende Wertschätzung immer noch besonders gefährdet. So sind zahlreiche Wandbilder von Künstlern der DDR inzwischen entfernt, zerstört und längst in Vergessenheit geraten und deren hoher künstlerischer Wert wird zum Teil immer noch durch die Wahrnehmung der oftmals ideologischen Inhalte überdeckt.
Mit der Rettung des ca. 7 × 30 m großen Mosaik-Außenwandbildes „Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik“ von Josep Renau restaurierte die Wüstenrot Stiftung erstmals exemplarisch ein Werk architekturbezogener Kunst im öffentlichen Raum. Sie kommt damit dem Wunsch vieler Menschen nach, „ihr“ Wandbild als identitätsstiftendes und stadtbildprägendes Element wieder zurückzubekommen. Weiterhin soll mit der Restaurierung das bauliche und künstlerische Erbe Renaus und der DDR wieder stärker in das öffentliche Bewusstsein rücken.
Unterstützt von bürgerschaftlicher Initiative und durch das Thüringische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie konnte die Wüstenrot Stiftung gemeinsam mit der Stadt Erfurt die erneute Anbringung des Mosaiks ermöglichen, wo es nun auf einem neuen Trägerkonstrukt wieder an seinem alten Ort erstrahlen wird.
Die Wüstenrot Stiftung hat das Mosaik, das seit 2008 unter Denkmalschutz des Landes Thüringen steht und sich im Eigentum der Stadt Erfurt befindet, als operativer Bauherr denkmalgerecht restauriert.
Die Planungs- und Restaurierungskosten betrugen circa 800.000 Euro.
Das kulturelle Erbe der DDR beinhaltet eine Vielzahl an Kunstwerken im öffentlichen Raum, die nicht nur untrennbarer Teil des Gesellschaftsbaus waren, sondern unterschiedliche Funktionen im Stadtraum einnahmen: neben der klassischen „Stadtraumbekunstung“, die in erster Linie dekorativ sein sollte, vermittelte die baubezogene Kunst auch politische Botschaften einer neuen sozialistischen Gesellschaft. Auftraggeber definierten dazu die Inhalte, die von den Künstlern individuell und unter Einsatz verschiedener Materialien und Techniken ausgeführt wurden.
So auch der 1907 im spanischen Valencia geborene Josep Renau. Nach seinem Malereistudium an der Kunstakademie Valencia war er in erster Linie als Werbegrafiker und Illustrator tätig, hatte zahlreiche Ämter inne und war politisch aktiv. Bekannt wurde Renau vor allem dadurch, dass er 1937 den spanischen Pavillon für die Weltausstellung in Paris organisierte. 1939 flüchtete er über Frankreich nach Mexiko, um einem Todesurteil zu entgehen, und traf dort mit David Alfaro Siqueiros zusammen, einem bedeutenden Künstler mexikanischer Wandbildmalerei.
Als Renau 1958 aus dem mexikanischen Exil in die DDR umsiedelte, brachte er die Idee der Wandbildmalerei mit und hauchte ihr neues Leben ein. Während seiner ersten Jahre in Ostdeutschland erstellt er zunächst grafische Filme und Plakate für das DDR-Fernsehen bevor er sich wieder den Wandbildern widmete. Die Staatliche Auftragskommission des Rates des Bezirks Erfurt beschloss Ende 1975, dass Renau einen Entwurf einer „Wandbildgestaltung im Zentrum, Eingangsbereich Neubaugebiet Erfurt, Nordhäuser Straße“ erarbeiten solle.
1977 begannen die intensive grafische Vorarbeit und der Modellbau. In Berlin-Mahlsdorf, wo Renau lebte und arbeitete, entstanden die ersten Entwürfe und Modelle unter Mitarbeit seines Künstlerkollektivs.
In die Entwurfsphase floss viel Zeit und Energie. So beschäftigte sich Renau vornehmlich mit Analysen des Standorts, unterschiedlichen Perspektiven und Einflussfaktoren wie dem Lichteinfall. Quellen nach zu urteilen, ging auch die Idee der abgerundeten Ecke des Gebäudes, auf der das Wandbild angebracht wurde, auf Renau zurück. 1979 legte er seine Entwürfe der Kommission vor und wurde Anfang 1980 mit der Erstellung des maßstäblichen Kartons (1:5) und der Ausführung am Kultur- und Freizeitzentrum beauftragt. Die Realisierung erfolgte in den Jahren 1980-1984. Als Ausführungstechnik wählte Josep Renau das Glasfliesenmosaik, da diese Technik kostengünstiger als eine Keramikausführung und außerdem langlebiger im Hinblick auf die Farbintensität war. Renau starb vor der Fertigstellung seines Werkes. Das Künstlerkollektiv, mit dem er bereits am Entwurf des Wandbildes gearbeitet hatte, vollendete das Wandmosaik nach seinem Tod. Die Fertigstellung des Mosaiks und die Eröffnung des Kultur- und Freizeitzentrums am Moskauer Platz fanden 1984 statt.
Renaus Wandbild unterteilt sich über die abgerundete Ecke des Gebäudes in einen längeren und einen kürzeren Wandabschnitt. Von links nach rechts sieht der Betrachter eine üppige Vegetation und ein großes, geöffnetes Händepaar, das zwei Symbole hält: einen gespaltenen Apfel und einen mehrfarbigen Polyeder. Die rechte Seite des Bildes zeigt Figuren, die wie auf dem Reißbrett eines Architekten oder Städteplaners angeordnet sind: architektonische Körper und abstrahierte geometrisch Straßenverläufe, ein Reißzirkel und Bäume in laublosem Zustand (Winter) und herbstlicher Färbung. Oberhalb der geöffneten Hände deuten farbige Kreise mit Kreuz und Pfeil auf das männliche und weibliche Prinzip hin. In seinem Erfurter Wandbild stellt Renau das Ideal einer Gesellschaft dar, welche die Kräfte und Früchte der Natur zum Wohle der Menschheit nutzt. Ein für die damalige Zeit optimistischer und zugleich utopischer Ansatz, der weder die Kritik an den ökologischen Missständen in der DDR und der restlichen Welt, noch das Bewusstsein um die begrenzte Verfügbarkeit natürlicher Rohstoffe für menschliche Belange aufgreift.
Vorbild für Renaus bildlich-künstlerische Fantasien davon, was allgemein wünschenswert und machbar ist, war das mexikanische Muralismo – eine meist staatlich beauftragte Wandbildkunst, die ab 1920 in erster Linie in propagandistischer Absicht sozialpolitische und nationale Themen verbildlichte. Bedeutende Vertreter dieser Kunstrichtung waren Diego Rivera (1886-1957), José Clemente Orozco (1883-1949) und David Alfaro Siqueiros (1896-1974). Renaus Bilder waren aber auch Ausdruck vielfältiger formaler Anregungen der Klassischen Moderne. Allesamt wirken sie heute noch modern und fallen nicht unter die idealtypischen Charakteristika des Sozialistischen Realismus.
Umlagerung des Mosaiks
Das Mosaik mit seinen insgesamt rund 70.000 Einzelteilen wurde im Auftrag der Stadt Erfurt zunächst vom ehemaligen Kultur- und Freizeitzentrum abgenommen. Das Abtrennen erfolgte durch Horizontalschnitte mit einer Säge. Die Größe der abgesägten Mosaiksegmente wurde so gewählt, dass die Mosaikteile auf Holzpaletten aufgelegt und in zwei Containern auf einem städtischen Betriebshof eingelagert werden konnten. Durch die unterschiedlichen Witterungsbedingungen war das Mosaik starken Temperaturschwankungen ausgesetzt, weshalb das Mosaik in eine stabilere Klimasituation umgelagert werden musste, um Schäden an den Materialien zu verhindern. Es folgte die Umlagerung des Mosaiks in eine Halle in Erfurt, wo die einzelnen Mosaikteile in einem Hochregallager untergebracht wurden.
Archivrecherche, Bauforschung und Auswertung
Nach Archivrecherchen in deutschen und spanischen Archiven konnten Bauforschungen zum Erfurter Wandbild erfolgen. Die Bauforschung erstreckte sich über die folgenden Bereiche: technische Beschreibungen, Lebenslinien des Künstlers, politische Rahmenbedingungen und das professionelle Umfeld Josep Renaus. Die Auswertung und Zusammenfassung der Archivrecherchen und Bauforschungen wurden in einem kunsthistorischen Gutachten zusammengefasst, womit die Grundlage für die weiterführende Projektbearbeitung geschaffen wurde.
Eine weitere Grundlage für die Erstellung eines Konzeptes für den Wiederaufbau war neben der Bauforschung die vollständige Untersuchung des Mosaiks und sämtlicher Bestandteile, der Materialität und etwaiger Mängel – die sogenannte Befundanalyse. Um den Bestand zu verstehen, war auch hier entscheidend, in die Vergangenheit zu blicken und die einzelnen Schritte von der Erstellung des Mosaiks bis zur Remontage und Einlagerung zu analysieren. Parallel zu diesen Schritten wurden Materialanalysen und eine Schadenskartierung durchgeführt. Bei der Anbringung des Mosaiks 1984 wurde zunächst ein Versatzmörtel auf dem Untergrund/Mauerwerk ausgeführt, um im nächsten Schritt auf diese plane Fläche einen Mörtel auszuführen, in den dann die einzelnen Mosaikelemente eingeklebt wurden. Abschließend wurden die Fugen zwischen dem Mosaikstein mit einer Masse verfüllt. Bevor nach erfolgter Abnahme und Einlagerung des Mosaiks weitere Schritte eingeleitet werden konnten, galt es Fragen zu beantworten: Wie ist der Zustand der Mörtelschichten auf der Rückseite des Mosaiks? Kann der bauzeitliche Mörtel weiterverwendet werden oder müssen die Schichten vollständig abgetrennt oder abgeschliffen werden? In welchem Zustand befindet sich die Fugenmasse zwischen den einzelnen Mosaiksteinen? Auch der Zustand der einzelnen Glasmosaiksteine wurde geprüft. Zahlreich Untersuchungen wurden veranlasst: Für die materialtechnischen Erhebungen wurden die Materialprüfanstalten in Weimar und in Wiesbaden beauftragt. Hier ging es insbesondere um Mörtel und Zusatzstoffe, die für den Verbund zwischen den einzelnen Mörtelschichten und den Mosaiksteinen verantwortlich sind.
Grundstück
Das Gebäude des ehemaligen Kultur- und Freizeitzentrums am Moskauer Platz wurde abgerissen und durch ein neues Einkaufscenter ersetzt. Die Stadt Erfurt sicherte sich aber das Recht, an einer speziell vorbereiteten Wand des Einkaufscenters das Mosaik wiederaufbauen zu dürfen.
Ein Vergleich der Grundrisse des Kultur- und Freizeitzentrums und des Einkaufscenters ergab, dass die beiden Gebäude unterschiedliche Ausmaße haben und sich die für das Mosaik vorgesehene Wand nicht an der Position befindet, an der ursprünglich das Mosaik angebracht war. Es folgte eine Prüfung, inwiefern das Mosaik auf einer freistehenden Konstruktion vor dem Einkaufscenter, an ursprünglicher Stelle und Höhenlage, ausgeführt werden kann. Die Architekten und Tragwerksplaner mussten unter Berücksichtigung der materialtechnischen Untersuchungen nunmehr eine reversible Konstruktion entwickeln, die für den geplanten Zweck technisch und ästhetisch geeignet ist. Nach Freigabe des Entwurfs für die Herstellung einer Stahlbetonkonstruktion wurde ein Stahlbetonrahmen ausgeführt, auf den zwölf einzelne Betonplatten mit dem applizierten Mosaik eingesetzt werden. Ein besonderes Augenmerk richteten die Planer auf die Ausbildung des Fugenbildes. Der Tragwerksplaner entwickelte ein System, mit dem die Betonplatten nach Einhängen in der Konstruktion ausgerichtet werden konnten. Dies erfolgt über in die Platten eingelassene Gewindehülsen. Über diese Hülsen werden die Betonplatten mit Gewindestangen verbunden. Nach Einhängen der Betonplatten können so die Fugenmaße des Mosaiks eingestellt werden.
Ausführungsplanung
Im Mai 2017 lagen die Ergebnisse der Untersuchung der Materialprüfanstalt in Wiesbaden über die Bewitterung eines Glasmosaiks durch eine Schlagregenbeanspruchung mit anschließender Prüfung der Haftzugfestigkeit der Fliesen vor. Im Juni 2017 folgten die Ergebnisse des Instituts für Baustoffkunde der Fakultät für Bauingenieurwesen der Bauhaus Universität Weimar zu den Untersuchungen zur Identifizierung von Kunststoffbestandteilen eines Klebemörtels. Auch infrarotspektropische Analysen des Mörtels wurden durchgeführt. Mit Abschluss der bauphysikalischen Untersuchungen konnte auch das Instandsetzungskonzept fertiggestellt werden.
Bauantrag
Danach galt es, baurechtlich zu überprüfen, inwiefern eine solche Konstruktion überhaupt an dem gewünschten Standort ausgeführt werden kann. Für das Gebiet rund um den Moskauer Platz gab es einen Bebauungsplan, der die beschriebene Konstruktion nicht vorsah. Mit Vorlage der Ausführungspläne konnte im Februar 2018 der Bauantrag an die Behörden übergeben werden. Nach Prüfung der Unterlagen und Berechnungen wurde im Mai 2018 die Baugenehmigung erteilt.
Ausschreibungen und Ausführung der Arbeiten
Es folgte das Verfahren für die Vergabe von Aufträgen für die Restaurierung des Mosaiks, die Baustelleneinrichtung und die Er- und Aufstellung der Betonkonstruktion. Von Januar bis April 2019 wurden die Betonplatten als Bildträger hergestellt, im März 2019 veranlasste die Wüstenrot Stiftung die Anmietung einer rund 700 Quadratmeter großen Halle in Tautenhain, in der die Applikation des Mosaiks auf die Betonplatten erfolgte. Von März bis September 2019 wurde die Stahlbetonkonstruktion hergestellt, die am ehemaligen Standort des Wandbilds vor dem neuen Einkaufscenter aufgestellt wurde. Von Juni bis Oktober 2019 wurde die Baustelle am Moskauer Platz durch die Firma BR Ingenieurbau für die Erdarbeiten, die Gründung und die Herstellung der Betonfundamente für die Stahlbetonkonstruktion eingerichtet. Dazu wurden die Gruben ausgehoben, es erfolgte eine sehr komplexe Umverlegung von Datenleitungen, die gemeinsam mit der Telekom realisiert wurde. Nach Ausführung einer Betonlage als Sauberkeitsschicht wurden die Betonfertigelemente in die Gruben eingehoben und für die Aufnahme der zwölf Betonplatten mit dem applizierten Mosaik vorbereitet. Gleichzeitig applizierten die Restauratoren der Firma Gustav van Treeck in der Halle in Tautenhein das instandgesetzte Mosaik auf die Betonplatten. Von dort werden die fertigen Betonplatten durch BR Ingenieurbau nach Erfurt transportiert. Um sicherzugehen, dass das Mosaik keine Transportschäden erleidet, werden immer maximal zwei Platten auf einem LKW transportiert. Für den Transport der Betonplatten wurde eine spezielle Transportvorrichtung gebaut, in welche die Betonplatten eingehängt werden. Die Elemente werden mit einem Kran bewegt und schließlich in die Stahlbetonkonstruktion eingehängt und ausgerichtet. Für das Einheben der Betonkonstruktionen muss die Straße vor dem Mosaik gesperrt und der Verkehr nach einem Abstimmungs- und Genehmigungsverfahren über die Verkehrsflächen der Parkplätze des Einkaufscenters umgeleitet werden. Vor Ort nehmen die Restauratoren abschließende Arbeiten am Fugenbild des Mosaiks im eingebauten Zustand vor. Die Übergabe des Mosaiks an die Stadt Erfurt erfolgt noch im Jahr 2019.
Konkrete Restaurierungsarbeiten
Während der Restaurierung wurden die eingelagerten Teilflächen an der Rückseite zunächst bis zum Versetzmörtel gedünnt, gereinigt und das Schadensbild kartiert.
Gebrochene Mosaikelemente wurden anschließend zusammengesetzt, wieder im Gefüge positioniert und die Mosaikfugen von hinten mit Sand verfüllt.
Um sicherzustellen, dass die einzelnen Mosaiksteine beim folgenden Auftragen des Ausgleichsmörtels nicht verrutschen, wurden lose liegende Elemente durch einen Versatzmörtel fixiert. Für fehlende Mosaiksteine setzten die Restauratoren Platzhalter ein. Nachdem alle Fliesen fixiert waren, erfolgte auf der Rückseite des Mosaiks der Verguss mit Mörtel.
Zur Verstärkung wurde ein Armierungsgewebe in den Mörtel eingelegt. Nach dem Aushärten des Mörtels wurden die Teilflächen gewendet und die Glasoberflächen gereinigt. Die Fehlstellen schloss man anschließend mit Mosaiksteinen aus dem Bestand oder neuen Steinen. Zuletzt wurden die Steine neu verfugt. Die neuen Mosaiksteine fügen sich in Materialität und Farbe in das Gesamtbild ein. Die Alterungsspuren wurden nicht überfasst; bei genauerer Betrachtung bleiben die Ergänzungen als solche erkennbar. Nach der Restaurierung applizierte das Restauratoren-Team die 252 Teilflächen des Mosaiks auf spezielle, für den Wiederaufbau hergestellte Betonfertigteile, um sie auf einer neuen Betonträgerkonstruktion am ursprünglichen Ort des ehemaligen Kultur- und Freizeitzentrums am Moskauer Platz in Erfurt wieder aufzustellen.