Wiedererwerbung des Kunstwerks „Begonien (Rot und Gelb)“ von Emil Nolde für das Angermuseum Erfurt
Rückkehr eines Gemäldes
Emil Nolde malte das Bild im Jahr 1929; bereits 1930 wurde es vom Städtischen Museum Erfurt bei der Berliner Galerie Ferdinand Möller für 8.000 Reichsmark angekauft. Im August 1937 beschlagnahmten es die Nationalsozialisten zusammen mit 13 weiteren Gemälden (darunter ein weiteres Werk von Emil Nolde, sowie Gemälde von Wassily Kandinsky, Lyonel Feininger, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein, Otto Mueller, Christian Rohlfs, Heinrich Nauen und Johannes Driesch) sowie acht Skulpturen und über 1.000 Werken der Grafischen Sammlung (Aquarelle, Zeichnungen, Druckgrafik). Damit verlor das Museum auf einen Schlag nahezu den kompletten Bestand an Moderner Kunst.
Noldes Blumenstillleben gelangte 1939 in Schweizer Privatbesitz, als es in der Galerie Fischer, Luzern, im Rahmen der Auktion „Gemälde und Plastiken Moderner Meister aus deutschen Museen“ zusammen mit 124 weiteren beschlagnahmten Spitzenwerken der Klassischen Moderne versteigert wurde. 78 Jahre später tauchte das Gemälde im Juni 2017 erstmals wieder auf dem Kunstmarkt auf: als eine der Hauptattraktionen einer Auktion der Galerie Kornfeld in Bern. Die Stadt Erfurt bemühte sich sofort um die Rückerwerbung. Mit Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Kulturstiftung der Länder, der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, des Freistaats Thüringen und der Stadt Erfurt konnten in kurzer Zeit rund 1,4 Millionen Euro dafür bereitgestellt werden. Diese Summe sollte jedoch nicht ausreichen – die Stadt Erfurt, in der Auktion vertreten durch Dr. Wolfram Morath-Vogel, wurde überboten. Das Gemälde erwarb ein Schweizer Privatsammler, der plante, es in seine Stiftung für das Kunstmuseum Bern einzugliedern. Nachdem ihm der kulturpolitische Hintergrund des Gemäldes richtig bewusst wurde, wandte er sich jedoch an das Angermuseum Erfurt, besuchte die Stadt und ließ sich vom nachhaltigen Interesse der Verantwortlichen an einer Rückerwerbung des Kunstwerks überzeugen. Er offerierte der Stadt Erfurt das Werk zum Preis des letzten von Erfurt abgegebenen Gebots während der Auktion in der Galerie Kornfeld – eine äußerst entgegenkommende Geste.
Über ein Jahr nach der Auktion der Galerie Kornfeld konnte das Angermuseum Erfurt durch die erneute Kooperation aller Fördermittelgeber das Gemälde endlich wieder erwerben. Das farbintensive Blumenstillleben „Begonien (Rot und Gelb)“, das zu den Hauptwerken des Expressionisten Emil Nolde gezählt wird, präsentiert sich heute in einem sehr guten Erhaltungszustand.
Das Gemälde
Quer durch das Gesamtwerk von Emil Nolde gehören neben Landschaften und figurativen Szenen auch Blumen- und Gartenmotive zu den wichtigen Themen seiner Malerei. Die starke Affinität zum Floralen ist eng verbunden mit der überragenden Bedeutung, die der Farbe in seinem Werk zukommt. Wie kein anderer expressionistischer Maler lotete Emil Nolde mit besonders differenzierter Farbpalette die Ausdruckskraft wechselseitiger Farbsteigerungen aus. Aus dem einfachen Motiv zweier Begonienpflanzen auf einer gemusterten Tischdecke entwickelte Nolde 1929 eine Komposition, in deren Zentrum der kraftvolle Farbakkord von üppigen roten und gelben Blüten steht. In seiner „expressiven Farbenlehre“ beschrieb Johannes Itten den Zusammenklang der Farben Gelb und Rot treffend als „einen mächtigen, lauten Akkord, wie Posaunen am Ostermorgen“. Nolde steigerte die Leuchtkraft der Blütenfarben durch ein lebhaftes Farbgeflecht vielfach abgestufter Grün- und Blautöne. Entscheidend für die Bildwirkung ist die reiche Sinnlichkeit des pastosen, gestischen Farbauftrags, in dem sich die Vitalität und Dynamik des intuitiv geleiteten malerischen Schaffensprozesses ganz unmittelbar verkörpert.
Kulturhistorische Bedeutung der Rückkehr
Vor dem Hintergrund der enormen Erfurter Verluste von Werken des Expressionismus im Jahre 1937 kommt dem wiedererworbenen Gemälde von Emil Nolde ein besonderer kunst- und kulturhistorischer Wert zu. Wie in einem Brennglas fokussiert sich in der Geschichte des Gemäldes die wechselvolle Entwicklung: Das Bild steht mit dem Ankauf im Jahr 1930 für die Blütezeit der modernen Erfurter Kunstsammlung in den 1920er und frühen 1930er Jahren und spiegelt mit seinem weiteren Schicksal die Destruktivität nationalsozialistischer Kulturpolitik, aber auch die hohe Wertschätzung der Klassischen Moderne in den vergangenen Jahrzehnten. Der enorme finanzielle Aufwand, der zur Wiedererwerbung dieses Kunstwerks nötig war, macht die besondere Preisentwicklung des gegenwärtigen Kunstmarkts sichtbar, die den Museen und ihren Förderern hohe Hürden setzt. Umso größer sind nun das Glück und die Dankbarkeit gegenüber dem Schweizer Sammler und allen Förderern, dass nunmehr die Rückkehr dieses bedeutenden Kunstwerks nach Erfurt möglich wurde.
Die Förderer
Ernst von Siemens Kunststiftung
Kulturstiftung der Länder
der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
Thüringer Staatskanzlei
Daten zum Gemälde
Emil Nolde (1867 – 1956): „Begonien (Rot und Gelb)“, 1929, Öl auf Leinwand, 74 × 101 cm, signiert unten rechts in blauer Pinselschrift: „Emil Nolde.“
Angermuseum Erfurt, Inv. Nr. II 123.
Werkverzeichnis
Martin Urban, Emil Nolde, Werkverzeichnis der Gemälde, Band II, 1915-1951, Kat. Nr. 1082, m. Abb.
Provenienz
1930: Städtisches Museum Erfurt, Ankauf von Galerie Ferdinand Möller, Berlin (8.000 RM)
1937: beschlagnahmt im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“
1939: Luzern, Auktion Galerie Fischer, „Gemälde und Plastiken Moderner Meister aus deutschen Museen“, Kat. Nr. 107
dort Erwerbung für eine Schweizer Privatsammlung im Zuschlag für 2.900 Fr. gegen die Gebote von Hans Fehr, einem Freund Noldes, der auf Wunsch des Künstlers die Preise für Nolde stützte und für sich selbst die Nr. 104, „Christus und die Sünderin“, kaufte.
Privatbesitz, Schweiz
16.06.2017; Galerie Kornfeld, Bern, Auktion 268, 165 ausgewählte Kunstwerke des 19. und 20. Jahrhunderts,
Privatbesitz, Schweiz
Literatur
Museum der Gegenwart, Band I, Nr. 4, Kapitel „Erwerbungen von neuerer Kunst“, Berlin 1931, S. 176
Hermann Holl, in: Bunte Illustrierte, München 1962, „Das nannten die Nazis entartete Kunst“, m. farb. Abb.
Ausstellungen
1957: Kunsthalle Recklinghausen, Ausstellung „Verkannte Kunst“, Kat. Nr. 136, m. Abb.
1958: Kunsthaus Zürich, Emil Nolde, Kat. Nr. 78
1962: Haus der Kunst, München, Ausstellung „Entartete Kunst - Bildersturm vor 25 Jahren“, Kat. Nr. 130, m. Abb.
1964: Palais de Beaulieu, Lausanne, „Chefs-d'œuvre des collections suisses de Manet à Picasso“, Kat. Nr. 203, m. Abb.