Rückkehr ins Angermuseum: Gemälde „Weiden II“ von Christian Rohlfs wieder in Erfurt
Ein sensationeller Ankauf für das Angermuseum
Die Erwerbung zum Endpreis von 68.500 Euro ist eine Sensation! Nun kehrt ein Kunstwerk, das im Sommer 1937 im Städtischen Museum Erfurt im Zuge der Propaganda-Aktion „Entartete Kunst“ beschlagnahmt wurde, in das Angermuseum zurück. Das Städtische Museum Erfurt verlor in dieser kulturpolitischen Aktion der Nationalsozialisten zur „Reinigung“ staatlicher und städtischer Museen von den künstlerischen Zeugnissen der Avantgarde, die pauschal als „Verfallskunst“ bezeichnet wurden, insgesamt 1.074 Grafiken, Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen. Erstmals gelang es dem Angermuseum im November 1993, ein 1937 beschlagnahmtes Kunstwerk zurück zu erwerben: Es handelte sich um die 92 cm hohe Skulptur „Rückblickende“, die Wilhelm Lehmbruck 1914 schuf.
Ermöglicht wurde der Zuschlag des Fördervereins für das Rohlfs-Gemälde durch die zügig bereitgestellte, umfangreiche finanzielle Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung, München, welche durch einen größeren Mitfinanzierungsbeitrag der Stadt Erfurt komplementiert wurde. „Die Erwerbung des Gemäldes ‚Weiden II‘ von Christian Rohlfs ist ein Coup für das Angermuseum. Ein in der Aktion ‚Entartete Kunst‘ beschlagnahmtes Werk kehrt zurück an seinen früheren Ausstellungsort. Das Museumsteam und die Gutachter haben mit Diskretion die fachliche Grundlage für die Erwerbung unter Zeitdruck gelegt – das Vermächtnis des Mäzens und Unternehmers Ernst von Siemens erlaubte es dann, die Möglichkeit zum Ankauf in einer Auktion entschlossen und kurzfristig wahrzunehmen“, freut sich Dr. Martin Hoernes, der Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung.
Langjährige Bemühungen wurden belohnt
Erstmals seit dem Verkauf durch den Galeristen Bernhard A. Böhmer unterrichteten die Eigentümer im Sommer 2011 den Direktor des Angermuseums Erfurt, Dr. Wolfram Morath-Vogel, von der Existenz des Gemäldes „Weiden II“ von Christian Rohlfs. Das Werk wurde in das Auktionshaus Villa Grisebach eingeliefert (Schätzpreis 30.000 Euro – 40.000 Euro) und am 31. Mai 2012 beim Preis von 109.800 Euro zugeschlagen. Bereits in dieser Auktion unternahm Dr. Wolfram Morath-Vogel den Kaufversuch für das Museum, wurde jedoch überboten. Am 28. November 2014 wurde das Gemälde in der Auktion 1043: Moderne Kunst des Kunsthauses Lempertz, Köln, erneut angeboten, nunmehr zum Schätzpreis von 120.000 bis 140.000 Euro, blieb jedoch ohne Zuschlag. Schließlich wurde im Herbst 2017 dem Vorstand des Fördervereins „Freunde des Angermuseums“ e. V. die wiederholte Einlieferung des Gemäldes in das Auktionshaus Villa Grisebach bekannt (Schätzpreis 50.000 – 70.000 Euro). Auf Anfrage von Dr. Morath-Vogel stellte die Ernst von Siemens Kunststiftung kurzfristig Fördermittel in Aussicht, unter der Voraussetzung, dass sich auch die Stadt Erfurt in angemessener Weise an der Finanzierung der Wiedererwerbung beteiligen würde. Die städtische Mitfinanzierung konnte zügig in Absprache zwischen der Kulturdirektion, dem Dezernat für Umwelt, Kultur und Sport und der Kämmerei der Stadtverwaltung gesichert werden. Frau Dr. Liane Schulz, Mitglied des Vorstands des Fördervereins, nahm schließlich an der Auktion teil und konnte das Werk für Erfurt ersteigern. Mit dem Zuschlag fanden die jahrelangen Bemühungen Erfurts um den Wiedererwerb des Gemäldes einen erfolgreichen Abschluss. „Wir wissen von zahlreichen 1937 in Erfurt beschlagnahmten Gemälden, in welchen Sammlungen weltweit sie sich heute befinden. Dass eines dieser Werke noch einmal auf dem Kunstmarkt auftaucht, ist extrem unwahrscheinlich. Umso glücklicher schätzen wir uns, dass das Unwahrscheinliche nun Wirklichkeit wurde und wir eines der raren Objekte für Erfurt zurückerwerben konnten. Es ist kunst- und kulturhistorisch hochbedeutsam und wertet unsere Gemäldesammlung des frühen 20. Jahrhunderts enorm auf“, resümiert der Direktor der Kunstmuseen Erfurt, Prof. Dr. Kai Uwe Schierz, seinen Eindruck vom hochwillkommenen Neuzugang.
Der Künstler Christian Rohlfs
1849 wird Christian Rohlfs in Niendorf in Holstein geboren. Nach einem Sturz als 15-jähriger folgt ein zweijähriges Krankenlager. Hier wird die zeichnerische Begabung des Jungen entdeckt. Auf Empfehlung Theodor Storms, dem Schwager des Arztes von Rohlfs, geht er zunächst nach Berlin, dann 1870 an die Großherzogliche Kunstschule in Weimar, um Malerei zu studieren. Auch nach der Amputation seines Beines 1874 gibt Rohlfs sein Studium nicht auf. Er erhält eine Freistelle in der Akademie und ist ab 1876 Schüler in der Malklasse von Prof. Alexandre Struys. 1883 folgt eine kurze Lehrzeit im Atelier von Max Thedy. Im selben Jahr wendet sich Rohlfs endgültig von der Figur- und Historienmalerei ab und intensiv der Landschaftsmalerei zu. 1884 beendet er sein Studium und beginnt, als selbstständiger Künstler zu arbeiten.
Am Beginn seiner Laufbahn prägten ihn die französische Freilichtmalerei der Schule von Barbizon, das Werk von Jean-Baptiste Camille Corot und Gustave Gustave Courbet, später das der französischen Impressionisten. Rohlfs wird von den Zeitgenossen als ein führender Vertreter der deutschen Freilichtmalerei gefeiert. Durch die Vermittlung Henry van de Veldes lernt Rohlfs den Gründer des Folkwang-Museums Karl Ernst Osthaus in Hagen/Westfalen kennen. Dieser stellt ihm ab 1901 in seinem Museum ein Atelier zur Verfügung. Der Ortswechsel von Weimar nach Hagen bewirkt einen Stilwandel; eine pointilistische Auflockerung der Malweise und starke Aufhellung der Palette. Man kann diese Veränderungen auf die künstlerischen Inspirationen beziehen, die Rohlfs im Museum von Osthaus erfährt, denn dort lernt er die neuesten Tendenzen der französischen Malerei im Original kennen. In den Anfangsjahren des Museums erwirbt sein Gründer vornehmlich Werke der französischen Avantgarde wie Renoir, Sisley und Cross. Als erstes deutsches Museum beherbergt das Folkwang Museum auch Gemälde von Paul Gauguin und Vincent van Gogh.
Später gewinnt der Expressionismus der „Brücke“-Künstler, dem im Folkwang-Museum frühe Ausstellungen gewidmet sind, immer stärker an Einfluss auf das Werk von Rohlfs. Christian Rohlfs war um mehr als eine Generation älter als die Maler der „Brücke“, und auch von Emil Nolde, den er 1905 in Soest kennenlernte, trennten ihn immer noch fast achtzehn Jahre. Als Sechzigjähriger findet er zu seinem expressiven Spätstil. Zahlreiche Ehrungen belegen die Anerkennung, die Rohlfs' Werke nun finden. 1929 wird das Christian-Rohlfs-Museum in Hagen gegründet. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird Rohlfs jedoch angefeindet; 1937 werden 412 seiner Bilder als „entartet“ aus deutschen Museen entfernt und man schließt ihn aus der Preußischen Akademie der Künste aus. 1938 stirbt Christian Rohlfs in seinem Hagener Atelier.
Das Gemälde „Weiden II“
1878 entsteht das erste Bild zum Thema „Weiden“; es ist noch den Prinzipien der Pleinairmalerei des 19. Jahrhunderts verpflichtet. Im Jahr 1904 greift der Künstler das Motiv erneut auf und widmet ihm sieben Gemälde. Obwohl der Künstler nunmehr in Hagen lebt, führt er sein Freiatelier in Weimar weiter; 1904 bleibt er den ganzen Sommer über dort. In flüssigem Duktus malt er die Landschaft bei Oberweimar und die locker gesetzten Weiden im Schanzengraben – nicht weit entfernt von dem Bauplatz, auf dem Henry van de Velde ab 1907 nach eigenen Plänen sein Haus „Hohe Pappeln“ errichten wird. Im Gemälde „Weiden II“ legt Rohlfs sein Augenmerk auf das Zusammenspiel von Licht und Schatten sowie auf die Bewegung. Diese ist dem Motiv inhärent durch die diagonal zur geschwungen verlaufenden Landschaft stehenden Weiden und wird durch die divisionistische Malweise in Grün-, Blau-, Gelb- und Braunvaleurs unterstützt. So wird eine Art Flirren suggeriert, das die Wärme eines wolkenlosen, unbeschwerten Sommertags atmosphärisch einfängt. Angesichts der emphatischen Dynamik, die Rohlfs diesem Landschaftsausschnitt verleiht, erscheint seine spätere Hinwendung zum Expressionismus wie eine logische Konsequenz des Vorangegangenen.
Ähnliche Gemälde aus der Reihe der „Weiden“ befinden sich heute in der Gemäldesammlung der Staatsgalerie Stuttgart und im Clemens-Sels-Museum Neuss.
Das Gemälde von Christian Rohlfs wurde im Mai 1918 vom Künstler in Hagen für 500 Reichsmark erworben und unter dem Titel „Weiden II“ inventarisiert (Nr. 7131). Aus der im Original erhaltenen Inventarkarte geht hervor, dass die Kaufsumme vom Erlös jener Vorträge bestritten wurde, die Edwin Redslob 1918 gehalten hatte. Eine Version „Weiden I“, 1904, so ein weiterer Eintrag, befinde sich im Besitz des Folkwang-Museums in Hagen. Die Jahreszahl neben dem in grüner Farbe aufgetragenen Monogramm „CR“ wurde auf der Inventarkarte irrtümlich mit „11“ angegeben – ein Fehler, der sich später in verschiedenen Publikationen wiederfindet.
Weitere Daten zum Gemälde
Christian Rohlfs: „Weiden II“ (auch „Im Schanzengraben bei Weimar“ betitelt), 1904, Öl auf Leinwand, 60,5 × 78 cm, unten rechts monogrammiert und datiert: CR 4, Werkverzeichnis: Köcke 335.
Provenienz: Städtisches Museum Erfurt (erworben 1918, Inv.-Nr. 7131, am 27. August 1937 beschlagnahmt) / Depot Schloss Schönhausen / Bernhard A. Böhmer, Güstrow (1938) / Privatsammlung, Berlin / Privatsammlung, Schweiz
[vgl. Datenbank zum Beschlagnahmeinventar der Aktion „Entartete Kunst“, Forschungsstelle „Entartete Kunst“, FU Berlin; EK-Inventar Nr. 1346]
Ausstellungen: Danzig 1929 (Stadtmuseum), Christian Rohlfs, Kat. Nr. 11 mit ganzseitiger Abb.
Literatur: Edwin Redslob, Beiträge zur Weimarer Landschaftsmalerei. Die Weimarer Zeit von Christian Rohlfs, in: Zeitschrift für Bildende Kunst, Jg. 55, 1920, mit Abb. S. 81 (datiert 1911); Carl Emil Uphoff, Christian Rohlfs, in: Junge Kunst, Bd. 34, 1923, mit Abb.; Walter Passarge, Junge Kunst in Erfurt, in: Der Cicerone, Jg. 15, 1923, S. 1133 f., mit Abb.; Sammlungskatalog des Städtischen Museums Erfurt, 1924, Kat. Nr. 116 (datiert 1911)