13. Etappe Tour de Bildung: Erinnerungsort Topf & Söhne
Textreportage
Entlang der Weimarischen Straße sieht es aus wie in den Gewerbegebieten vieler deutscher Städte: Tankstellen, Imbissketten und Einkaufszentren zwischen Bahngleisen und Bundesstraße. „Stets gern für Sie beschäftigt, …“ steht in großen Lettern und Anführungszeichen an der renovierten Fassade eines älteren Gebäudes, gut zu lesen aus dem Auto oder Zugfenster. Und erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass es sich hier nicht um einen Werbeslogan handelt. Der Satz, einst als Briefschlussformel verwendet, verweist auf die ungeheuerliche Normalität, mit der eine Erfurter Firma sich am Völkermord während des Nationalsozialismus beteiligte: Topf & Söhne. Die Ofenbauer von Auschwitz. Auf eigene Initiative und ohne äußeren Zwang entwickelten Ingenieure hochleistungsfähige Krematoriumsöfen in etlichen Konzentrationslagern und Be- und Entlüftungsanlagen für die Gaskammern von Auschwitz. Techniker installierten und warteten die Anlagen vor Ort, bei laufendem Betrieb. „Die Arbeitsplätze der Ingenieure mit den historischen Zeichenmaschinen, sowie die vielen Dokumente – Zeichnungen, Telefonnotizen, Geschäftskorrespondenz - aus dem hiesigen Betriebsarchiv und dem Konzentrationslager Auschwitz sind Zeugnisse dafür, wie für den Holocaust gedacht, gerechnet und produziert wurde“, sagt Dr. Annegret Schüle, Historikerin und Leiterin des Erinnerungsortes.
Bis zu dessen Eröffnung im Januar 2011 war es allerdings ein weiter Weg. Das Firmengelände des nach dem Mauerfall erst privatisierten und dann insolventen "Erfurter Mälzerei- und Speicherbaus" lag etliche Jahre brach und drohte gänzlich zu verfallen. Die Gläubigerbanken bemühten sich erfolglos um eine Verwertung. Auch fehlte es zunächst am politischen Willen, sich mit der Erfurter NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Darüber hinaus kam es nach dem Verkauf des Geländes an einen Investor zum Interessenskonflikt mit einer Gruppe von Hausbesetzern, die eines der Gebäude als alternatives Kulturzentrum genutzt und sich ebenfalls für die Geschichtsaufarbeitung eingesetzt hatten. Am Ende standen gescheiterte Gespräche zwischen Stadt und Hausbesetzern über eine Alternative, die gewaltsame Räumung, der Abriss eines Großteils der teils desolaten Firmengebäude und die Neubebauung mit Einkaufsmärkten. Übrig blieb das ehemalige Verwaltungsgebäude mit einem gestalteten Außenbereich, auf dem Parkplatz der Einkaufsmärkte erinnern Metallstelen an die historischen Dimensionen des Geländes. „Gerade an einem so sensiblen Ort wäre uns natürlich eine friedliche Lösung zwischen Eigentümern und Hausbesetzern lieber gewesen. Allerdings war die Sanierung des Verwaltungsgebäudes durch den privaten Investor, der die restlichen Teile des Geländes verwertet, die einzige Chance, den historischen Ort zu retten und damit den Erinnerungsort in dieser Form zu schaffen“, erklärt Annegret Schüle.
Boris und ich begleiten eine Gruppe von Unteroffizieren bei einem Besuch der Ausstellung. Die Gruppe ist extra aus Storkow angereist, danach geht es weiter ins ehemalige Konzentrationslager Buchenwald. Der Besuch in KZ-Gedenkstätten ist Bestandteil der politischen Bildungsarbeit bei der Bundeswehr. „Die Geschichte der Firma Topf & Söhne kannte ich jedoch bis jetzt nicht. Dass man die Massenvernichtung rein technisch betrachtet hat, Abläufe durch bessere Umluftanlagen und effizientere Öfen versuchte zu optimieren, ist erschreckend“, sagt Major Steffen Krausche, Kompaniechef des Führungsunterstützungsbataillons 381 Storkow nach der Führung. In der Ausstellung wurde angeregt diskutiert. „Unsere Diskussionen drehten sich vor allem um die Frage, wie unterschiedlich man Dinge zu verschiedenen Zeiten bewertet und welche Parallelen man zur heutigen Zeit ziehen kann, vom Bau von Bomben bis hin zur Kinderarbeit.“
Eine Aktualisierung der Thematik ist durchaus erwünscht. „Die Ingenieure von Topf & Söhne waren ja keine Bestien, auch keine Soldaten, die sich im Kriegseinsatz an Verbrechen beteiligten, sondern Menschen, die ganz normal zu ihrer Arbeit gegangen sind. Hier im Erinnerungsort können wir zeigen, das ganz alltägliche Motive, wie Konkurrenzdenken, Streben nach Geld oder beruflicher Anerkennung, dazu geführt haben, sich an den Verbrechen der Nationalsozialisten zu beteiligen.“, erklärt Rebekka Schubert, pädagogische Mitarbeiterin am Erinnerungsort. Das Angebot reicht von zweistündigen Führungen bis hin zu mehrtägigen Projekten. „Im Mittelpunkt steht dabei immer das forschende Lernen, wobei sich die Teilnehmern selbst auf Spurensuche in der Ausstellung begeben. Sie befragen dort historische Dokumente, wie Geschäftsunterlagen oder Zeichnungen nach Handlungen, Motiven und Handlungsoptionen.“
Seit der Eröffnung zählt der Erinnerungsort 13.000 Besucher, darunter die verschiedensten Berufsgruppen, wie Führungskräfte und Angestellte in Banken, bei Gerichten, bei der Polizei, in der städtischen Verwaltung, Lehrkräfte und Pfarrer, aber auch Ingenieure. "Das Haus hat sich zu einem wichtigen Gesprächszentrum für Themen entwickelt, die die ethischen Grundlagen unserer Gesellschaft betreffen und damit für die Zukunft bedeutend sind", resümiert Annegret Schüle nach einem Jahr.
25.01.2012, Andreas Kubitza