… alle Zelte abbrechen …
Woche 16 (11. bis 17. August)
Alison Bechdel
Alison Bechdels erstes Buch „Fun Home“ landete zufällig in meinen Händen, das zweite „Wer ist hier die Mutter?“ schon gezielter. Selten bin ich in einen solchen Leserausch geraten. Das Besondere: Beides sind Graphic Novels, ein Genre, das ich nur selten lese. Doch bei Alison Bechdel finden Familiengeschichte und Psychoanalyse ganz leicht zusammen. Gerade einmal drei Bilder braucht sie, um die Kosmologie ihrer Hauptfigur auszudrücken. Ich bin fasziniert, am Ende sogar zu Tränen gerührt und warte ungeduldig auf ihr nächstes Buch.
Offene Fragen 4
Wieso lassen sich die Leute lieber von einem verkleideten als von einem realen Menschen durch die Stadt führen? (Weil sie „etwas Besonderes“ erleben wollen? Aber was ist daran so besonders?) Haben die vielen Straßenmusikanten eigentlich Spaß an ihrem Job? (Manche vermutlich ja, manche vermutlich nein. Manchmal hört man es in der Musik.) Wie viele Fotos werden täglich von Bernd dem Brot geschossen? (Ich schätze fünfzig.) Und was wird mir am meisten fehlen, wenn ich nächste Woche nach Leipzig zurückkehre, und was am wenigsten?
Aufgeschnappte Gespräche 15
Gegen 11 Uhr, auf der Marktstraße, ein Ehepaar um die siebzig
Die Frau: „… alle Zelte abbrechen und uns hier niederlassen …“
Geschichten
Obwohl ich bei meinen täglichen Spaziergängen immer ähnliche Runden nehme – den Löberwall entlang Richtung Dreibrunnenpark, über den Benaryplatz und am Dom vorbei zurück in die Stadt –, entdecke ich doch noch Neues, in dieser Woche eine faszinierende Hausfront. Hinter dem Theater, zwischen der Maximilian-Welsch- und der Placidus-Muth-Straße, gewähren große Fenster Einblicke in die Werkstätten der Oper. Auch wenn dort nicht gearbeitet wird, könnte ich stundenlang in die Fenster schauen. Perücken liegen dort herum, Gerüste stehen im Raum, Holzlatten. Hier entstehen Details zu den großen Geschichten. Und gleichzeitig kann ich mir zu den Details neue, eigene Geschichten ausdenken.
Kunstrundgang 3
Schmuck ist alles andere als mein Steckenpferd, aber vor vier Wochen bekam ich eine Einladung, beim Erfurter Schmucksymposium zu lesen. Dort habe ich die chaotisch-kreativen Schreibtische der Teilnehmer bewundert, jetzt schaue ich mir Ergebnisse der zweiwöchigen Werkstatt an. Ein paar Exponate ziehen mich in ihren Bann. Der Dinosaurier, der das protzige Collier von Felieke van der Leest bewacht. Kristyna Španihelovás Preisschilder, die sich in Schmuck mit Worten verwandelt haben. Heike Grubers Collage, die unter anderem dazu auffordert: „Wir müssen einander fragen. Wenn wir das nicht können, was sind wir dann …“ Wäre ich nicht Stadtschreiberin und immer auf der Suche nach neuen Eindrücken, hätte ich die Ausstellung wahrscheinlich nicht besucht. Jetzt bin ich froh, sie gesehen zu haben.