Fahren und stöbern
Woche 12 (14. bis 20. Juli)
Jena Paradies
Bisher kannte ich Jena Paradies nur als ICE-Halt auf der Strecke nach München, jetzt schaue ich mir mehr als den Bahnhof an. Historische Gebäude, DDR-Fassaden, die ambitionierte Nach-Wende-Architektur – hier geht alles durcheinander, und ein Gefühl für die Stadt bekomme ich so schnell nicht. Im schönen Café Wagner erfahre ich aus dem Reiseführer, dass „Jena“ im Arabischen tatsächlich „Paradies“ bedeutet. Paradiesisch erscheinen mir jedenfalls der Botanische Garten und der verwunschene Johannisfriedhof. Ich muss bald zurückkommen, um mehr paradiesische Ecken zu finden.
Aufgeschnappte Gespräche 12
Nachmittags, im Café Zuckerdose, zwei Frauen in meinem Alter
„… paragliden würde ich machen, aber Haitauchen mache ich auf keinen Fall …“
Im Steiger
Die Luft weht kühler im Steigerwald. Ich lasse den Stern links liegen. Statt am Waldhaus lande ich am Rand einer Kleingartenanlage, sitze lange mit Blick auf ein weites Feld. Es ist ein Versäumnis, bisher nicht hier gewesen zu sein. Das größte Versäumnis aber spüre ich, als ich zum ersten Mal seit meiner Ankunft in einen Linienbus steige: In welcher Stadt kann man sich während der Fahrt in Thomas Bernhards „Das Kind“ oder Roald Dahls „Kuschelmuschel“ vertiefen? Ich stöbere im Büchertauschregal, während der Bus mich in die Hitze der Altstadt zurückbringt.
Offene Fragen 3
Haben alle Erfurter einen Sensor, der sie auf nahende Straßenbahnen hinweist? (D. vermutet es, und ich kann mir ihre sicheren Routen in der Innenstadt auch nicht anders erklären.) Warum gibt es in Freibädern eigentlich nur Frittiertes zu essen? (Weil es besondere Tage sind, in denen es nur Besonderes zu essen gibt?) Weshalb liegen die schönen Künstlerwerkstätten so weit außerhalb? (Weil die Künstler es nicht mögen, wenn man ihnen über die Schultern schaut?) Und ist der Mohrenapotheke in der Schlösserstraße eigentlich bewusst, dass ihre Schaufensterfigur eine ganze Menschengruppe diskriminiert?
Gerüche (Stotternheim)
In Leipzig kenne ich an allen Seen die versteckten Buchten, für die man keinen Eintritt zahlen muss. Hier bin ich auf das offizielle Strandbad angewiesen. An einem solchen Ort bin ich lange nicht gewesen. Prompt fallen mich vergessene Gerüche aus meiner Kindheit an: Der heiße Plastikstoff einer DDR-Luftmatratze. Aufgeheizter Sand, vermischt mit dem Aroma eines Kiefernwaldes. (Obwohl hier gar keine Kiefern wachsen.) Das Gemisch aus Sonnencreme und Schweiß und Bier. Und auf dem Rückweg zum Bahnhof Stotternheim der Uringeruch in der Unterführung.