Heimat heißt vergessen
Woche 10 (30. Juni bis 6. Juli)
Heimat 1
Seitdem ich hier bin, werde ich immer wieder gefragt: „Sind die Thüringer anders als die Sachsen?“ Ich kann immer nur die Schultern zucken. An das Konzept Heimat glaube ich nicht. In dieser Woche höre ich allerdings zweimal, dass die reiselustigen Sachsen hinaus in die Welt gehen, während die heimatverbundenen Thüringer im Laufe ihres Lebens zurückkehren – wenn sie ihre Heimat überhaupt verlassen. Ich beginne zu zweifeln: Gibt es doch so etwas wie den Thüringer, den Sachsen? Aber dann höre ich: „Die Thüringer kehren zurück, weil sie stolz auf ihr Land sind, und das dürfen sie auch, es ist ein schönes Land.“ Da steige ich automatisch aus, beim Stolz auf etwas, an dem man wenig bis gar keinen Anteil hat.
Heimat 2
Während D. und ich über den Hauptfriedhof spazieren – eher ein Park oder ein Wald, ruhig und von der besonderen Stimmung, die auf vielen Friedhöfen herrscht –, stoßen wir auf ein Denkmal für die Heimatvertriebenen. Wir gehen von der Seite auf das Denkmal zu, und ich lese zuerst: „Heimat heißt vergessen“. Erst als wir direkt davorstehen, sehe ich, dass ich mich geirrt habe. Natürlich heißt der Spruch: „Die Heimat bleibt unvergessen.“ Schade.
Angelika Klüssendorf
Nur zwei Abende brauche ich, um „April“ von Angelika Klüssendorf zu lesen, und wenn ich nicht so viel zu tun hätte, hätte ich wahrscheinlich nur einen Abend gebraucht. Schon lange hat mich eine Neuerscheinung nicht mehr so fasziniert, bin ich jedem Kapitel atemlos gefolgt. Nicht nur die Hauptfigur April zieht mich in ihren Bann. Interessant finde ich auch den Hintergrund – die DDR –, der ganz spezifisch, aber dennoch austauschbar ist. Nur ein Bedauern schleicht sich in die Lektüre: Die anderen Bücher der Autorin habe ich schon alle gelesen.
Aufgeschnappte Gespräche 10
Mittags, in der Schlösserstraße, zwei Anzugträger um die 40
„… ya sabes que no hay …“
(Das erste Mal, dass ich in Erfurt Spanisch höre!)
Critical Mass
Einhundertachtzig Radfahrer, die quer durch Erfurt fahren – das sind mehr als genug, damit einmal die Autofahrer das Nachsehen haben. An der Lasalle-Straße verliere ich die Orientierung und lasse mich in der kritischen Masse einfach treiben. Die meiste Zeit fahre ich neben einem Mann um die 70. Hinter mir radeln ein paar Hipster, weiter vorn lassen Jugendliche ihre Räder springen. Das ist vielleicht das Schönste an der Fahrraddemo: Dass für eine Stunde Menschen zusammenhalten, die sich im Alltag nicht begegnen.