Doppelte Denkleiter

19.05.2014 10:03

In meiner dritten Woche frage ich mich, wie konkrete Literatur aussähe, und finde im Kino den Unterschied zwischen Wissenschaftlern und Autoren heraus.

Woche 3 (12. Mai bis 18. Mai)

Ein Schaufenster, dahinter eine Umbau-Folie. In den oberen Fenstersegmenten Pappen mit den aufgeklebten Buchstaben "LIEBE". Hinter der Folie eine Pappe mit der Aufschrift "Neu ab Mitte Mai - Frische Salate, Gefüllte Fladen..." Über dem Fenster ein Wappen im Putz des Hauses mit der Inschrift "Willrode - erbaut um 1439"
Foto: Liebevoller Umbau in der Marktstraße Foto: © Katharina Bendixen

Konkrete Kunst

„Konkrete Kunst ist die Bezeichnung für eine Kunst ohne jede Beziehung zur visuellen Wirklichkeit …“, lese ich im Faltblatt zur Ausstellung in der ehemaligen Klosterkirche St. Peter und Paul auf dem Petersberg. Halb versinke ich in diesem wunderbaren Nebeneinander von altem Mauerwerk und klaren Formen, halb frage ich mich: Wie sähe eigentlich eine Literatur ohne jede Beziehung zur Wirklichkeit aus? So wie Eugen Gomringers Gedicht, ganz hinten rechts? Mehr als die Texte faszinieren mich Helmut Dirnaichners Elemente, organische Formen aus – so lese ich, und die Wörter gefallen mir sofort – Zinnober, Jaspis, Rhodochrosit, Vivianit. Auch Leonardo Mossos "Doppelte Denkleiter für Erfurt" und Alojzy Gryts Installation mit Glasquadraten tun es mir an. Mich in die Umbauarbeiten für die Wechselausstellung zu schmuggeln, gelingt mir leider nicht: Eine aufmerksame Wärterin ruft mich zurück. Schade.

Wissenschaftler

"Verfehlung" in der Bildungs- und Gedenkstätte Andreasstraße. Einer der letzten DEFA-Filme (1992), nach einem Roman von Werner Heiduczek, Regie führte Heiner Carow. Es sind vielleicht zwanzig Zuschauer da, ich bin die jüngste. Eine Liebe von Ost nach West, die tragisch endet. Vom Licht, das nach dem Abspannt den Raum in Weiß taucht, sind alle überrascht und überfordert.

Eine Zuschauerin sagt: „Ist das wirklich so gewesen?“ Der Filmexperte auf dem Podium sagt: „Natürlich überhöht Carow, aber doch, so ist es gewesen.“

Meine Frage dagegen wehrt er ab: Ich will wissen, wie der Film ausgesehen hätte, wenn er nicht ‘92 gedreht worden wäre, sondern schon ‘82. Er erklärt: „Solche Spekulationen sind immer interessant, führen aber zu nichts.“ Damit hat er natürlich Recht. Aber ich bin Autorin, mich interessieren Möglichkeiten. Im Gegensatz zu ihm, dem Wissenschaftler, den nur die Wirklichkeiten beschäftigen.

Aufgeschnappte Gespräche 3

Rathausbrücke, nachmittags, eine junge Mutter mit ihren drei kleinen Töchtern
Eine Tochter: „Mama, haben wir den goldenen Zauberstein dabei?“

Wir Erben

Seit zwei Tagen lese ich "Wir Erben" von Angelika Reitzer. Die Geschichte ist einfach, wie in vielen Büchern: drei Generationen, Streitigkeiten, ein Haus mit Geschichte. Im Gegensatz zu den meisten Büchern höre ich aber nicht nach zwanzig, dreißig, vierzig Seiten wieder auf. Ich finde einfach nicht heraus, wie Angelika Reitzer das macht: wie schafft sie diese Tiefe?