1945 – 1949 | Neubeginn zwischen Hoffnung und Resignation
1945
(13. April) Die im Regierungsgebäude am Hirschgarten stationierte amerikanische Militärverwaltung unter dem Kommando des Majors Noble O. Moore übt die vollziehende Gewalt in der Stadt aus. Ihre Befehle und Veröffentlichungen sind widerspruchslos zu befolgen.
1945
(12./13. April) Voller Ungewissheit über die Zukunft verlassen die Menschen Luftschutzkeller und Bunker. Die Stadt Erfurt bietet ein trostloses Bild. Die Arbeit in den Betrieben ist fast ganz zum Erliegen gekommen. 5.000 Erfurter Männer kehren nicht von den Schlachtfeldern Europas zurück, viele andere nur als Krüppel. Dem Bomben- und Granatenhagel sind 1.392 Greise, Frauen und Kinder zum Opfer gefallen. Hunderte von Gegnern des NS-Regimes und jüdische Bürgern der Stadt sind verschleppt, viele in den Konzentrationslagern ermordet. Die Gebäudeschäden in der Stadt betragen 85,5 Millionen Reichsmark. Dennoch sind die Bombenschäden im Vergleich mit anderen deutschen Städten gering.
1945
Lange Züge heimatloser Menschen kommen aus den Kampfgebieten und ziehen durch die Stadt in der Hoffnung, eine Unterkunft zu finden. Mitte April leben 37.430 Kriegsevakuierte in der Stadt. In der Neuerbeschule, im „Schützenhaus“, im Barackenlager am alten Nordhäuser Bahnhof, im Gymnasium und in den Gebäuden Allerheiligenstraße 9/10 sind Durchgangslager für Flüchtlinge und Vertriebene eingerichtet.
1945
(13. April) Der Post- und Eisenbahnverkehr für die Bevölkerung ist völlig eingestellt. Sämtliche Behörden außer der Stadtverwaltung, alle Schulen und Einrichtungen sind geschlossen.
1945
(15. April) Otto Gerber (parteilos) (1884 bis 1961) wird auf Anordnung des US-amerikanischen Stadtkommandanten als Oberbürgermeister eingesetzt.
1945
(29. April) Der Güterzug- und Kurzstreckenverkehr der Deutschen Reichsbahn für die Bevölkerung wird in beschränktem Umfang zugelassen. Durch Gleisunterbrechungen infolge der Kampfhandlungen und der Brückensprengungen sind zahlreiche Streckenabschnitte gesperrt. Das Fernmeldenetz ist nachhaltig zerstört.
1945
(1. Juni) Der Straßenbahnverkehr beginnt mit der Linie 1. Bereits in den folgenden Wochen werden nach der Instandsetzung des Schienennetzes und des Wagenparks die weiteren Streckenabschnitte befahren. Ab dem 19. Juli werden wieder alle Strecken der Erfurter Straßenbahn und erste Omnibuslinien befahren.
1945
(1. Juni) Die erste Ausgabe der Veröffentlichung „Amtliche Nachrichten der Militärregierung für den Stadtkreis Erfurt und den Landkreis Weißensee“ erscheint.
1945
(3. Juli) Einheiten der sowjetischen Armee übernehmen aufgrund einer Vereinbarung der alliierten Militärkommandanten in Deutschland entsprechend dem 1. Londoner Zonenprotokoll von 1944 und den Beschlüssen der Konferenz von Jalta die Stadt. Erfurt wird Bestandteil der sowjetischen Besatzungszone.
1945
Als Tageszeitung erscheinen in Erfurt: Die „Thüringer Volkszeitung“ (KPD) ab dem 3. Juli, die „Tribüne“ (SPD) ab dem 1. November, das „Thüringer Tageblatt“ (CDU) ab dem 1. Mai 1946, die „Thüringer Landeszeitung“ (LDPD) ab dem 4. Januar 1947 und die „"Thüringer Neuesten Nachrichten“ (NDPD) ab dem 30. April 1951.
1945
(7. Juli) Hermann Jahn (KPD) (1894 bis 1946) wird durch den sowjetischen Stadtkommandanten nach Amtsenthebung von Otto Gerber als Oberbürgermeister eingesetzt.
1945
(April bis Juli) In der Stadt konstituieren sich Ortsgruppen politischer Parteien und führen erste Versammlungen durch: KPD am 26. April, „Bund demokratischer Sozialisten“ am 1. Juni, SPD am 15. Juni, CDU am 26. Juni und LDPD am 5. Juli. Ihnen folgen die NDPD und die DBD 1948.
1945
(April bis Juni) Die in Erfurter Betrieben „zwangsverpflichteten“ 31.000 Arbeitskräfte aus der Sowjetunion, Polen, der Tschechoslowakei, Frankreich, Italien, Jugoslawien, Rumänien, den Niederlanden und Bulgarien kehren in der Mehrzahl nach Kriegsende in ihre Heimatländer zurück.
1945
(Juni) Die Strom- und Gasversorgung kann nach umfangreichen Reparaturarbeiten wieder notdürftig gesichert werden.
1945
(1. Juli) Einstellung der Tätigkeit der preußischen Regierung in Erfurt. Die Stadt wird am 16. Juni Thüringen zugeordnet.
1945
(30. August) Mit der Aufführung von Beethovens „Fidelio“ im Stadttheater nimmt das Theaterleben einen neuen Anfang.
1945
(29. September) Eröffnung einer Ausstellung unter dem Motto „Erfurter Wirtschaft im Aufbau“ in den Gebäuden der Feima-Werke, Altonaer Straße. Sie zeigt, wie Betriebe oft mit Behelfsmitteln, durch Rohstoffknappheit und viele andere Schwierigkeiten verursacht, die Produktion in Gang gesetzt haben. Gleichzeitig wird eine erste Kunstausstellung unter der Thematik „Künstler im antifaschistischen Kampf“ eröffnet.
1945
(1. Oktober) Die Erfurter Schulen nehmen in allen Klassenstufen – die Mehrzahl der ersten vier Unterrichtsstufen bereits am 24. Juli – den Unterricht wieder auf. Die Schülerzahl beträgt 21.200.
1945
(7. Oktober) Die Erfurter Musikschule wird mit einer Feierstunde im Stadttheater eröffnet. Im Rahmen der musikalischen Darbietungen spricht Stadtschulrat Dr. Binnert.
1945
(November) In der Innenstadt sind 30.000 m³ Schutt von den Straßen geräumt und etwa ein Drittel der beschädigten Wohnungen instand gesetzt. Besondere Anstrengungen erfordert die Sicherung der gesundheitlichen Betreuung der Stadtbevölkerung und vor allem der Flüchtlinge. In den Erfurter Lagern haben sich fast 700.000 Menschen aus den Ostgebieten Deutschlands (1945-1949) aufgehalten.
1946
(15. Februar) Die Pädagogische Fachschule wird mit einem Festakt in der Aula der Gutenbergschule als Nachfolgeeinrichtung der Lehrerbildungsanstalt eröffnet.
1946
(12. April) Kommunisten und Sozialdemokraten Erfurts fassen auf einer gemeinsamen Tagung im Kaisersaal den „Beschluss über die Vereinigung der KPD und SPD“ zur „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ (SED) auf lokaler Ebene. Ein beachtlicher Teil der Erfurter Sozialdemokraten lehnt die Vereinigung ab. Ab dem 9. April erscheint als neues Organ der SED die Tageszeitung „Thüringer Volk“.
1946
(13. und 14. April) 1. Landesparteitag der CDU in Erfurt im „Stadtkrug“; am zweiten Tag Ende mit einer Festveranstaltung im Angerkino. Es spricht Jakob Kaiser. Der zweite Landesparteitag findet vom 18. bis zum 20. April 1947 im „Kossenhaschen“ und in den „Reichshallen“ statt (dort mit Dertinger und Lemmer), der dritte vom 21. Mai bis zum 25. Mai 1948 im „Kossenhaschen“ und in den „Reichshallen“ (dort mit Dertinger und Nuschke), der vierte am 17. und am 18. Mai 1950 im „Erfurter Hof“.
1946
(21. Mai) Mit dem Befehl Nr. 156/181 der SMAD wird die Übergabe des sequestrierten Eigentums in Besitz und Nutznießung der Stadtverwaltung bestimmt. Entsprechend den Festlegungen der Sequesterkommission der Stadt gehen von den beschlagnahmten 330 Objekten 224 in „Volkseigentum“ über. 106 werden an die alten Besitzer zurückgegeben. Zur Verwaltung wird das Kommunale Wirtschaftsunternehmen (KWU) gebildet.
1946
Die Erfurter Großbetriebe „Olympia-Büromaschinen-Werke“, das Telefunken-Werk und die Berlin-Erfurter Maschinenfabrik „Henry Pels & Co.“ werden in Sowjetische Aktiengesellschaften (SAG) umgewandelt. 1947 bis 1954 Übergabe aller SAG-Betriebe in Volkseigentum.
1946
(8. September) Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung. Es beteiligen sich 87 % der wahlberechtigten Bürger. Von den gültigen Stimmen werden auf den Wahlvorschlag der LDPD 44.058, den der SED 34.925, den der CDU 25.036 und den des Frauenausschusses 902 abgegeben.
1946
(26. September) Paul Hach (LDPD) (1893-1976) wird entsprechend dem Wahlergebnis durch die Stadtverordnetenversammlung als Oberbürgermeister benannt. Gedeckt vom sowjetischen Stadtkommandanten, erzwingt die SED-Führung den Rücktritt des LDPD-Oberbürgermeisters. Unter massivem Druck verzichtet die LDPD-Fraktion auf eine Kandidatur.
1946 bis 1961
Georg Boock (SED) (1891 bis 1961) am 5. Mai als Oberbürgermeister der Stadt Erfurt eingeführt. Nach der Gemeindewahl vom 8. September 1946 legt er am 26. September sein Amt nieder. Nachdem die LDPD-Fraktion unter massivem Druck auf die Kandidatur verzichtet hat, wird im Dezember Georg Boock von der Stadtverordnetenversammlung erneut zum Oberbürgermeister gewählt.
1946
(29. Oktober) Die Einwohnerzahl der Stadt Erfurt beträgt laut durchgeführter Volks- und Berufszählung 174.633 Personen, davon 73.501 männliche und 101.132 weibliche.
1946
(8. Dezember) Das Angermuseum eröffnet nach der Beseitigung der Kriegsschäden am Gebäude wieder Ausstellungsräume, mit den Sammlungen der Gemälde sowie der Fayencen, Gläser und Porzellane beginnend.
1947
(25. Februar) Durch Kontrollgesetz der Alliierten Nr. 68 wird Preußen als Staat aufgelöst. Nach 145 Jahren endet damit für Erfurt auch juristisch die Zugehörigkeit zu Preußen.
1947
Die während des Kriegs erbauten Luftschutz-Löschteiche (Betonbehälter) auf dem Domplatz, dem Fischmarkt, dem Anger, im Hirschgarten, am Löberring, am Reglerring, am Krämpferring sowie die übrigen am Rande der Stadt werden beseitigt.
1947
(1. Juni) Auf der Radrennbahn im Andreasrieth wird das erste Nachkriegsrennen durchgeführt.
1947
(2. Oktober) Die Ingenieurschule für Bauwesen beginnt als Nachfolgeeinrichtung der Lehranstalt für Hoch- und Tiefbau mit dem Lehrbetrieb.
1947
(20. Oktober) Die neu gebildete Höhere Gartenbauschule, die vorläufig in dem Hause Allerheiligenstraße 9/11 untergebracht ist, beginnt mit dem Lehrbetrieb.
1948
(7. Juli) Durch den Thüringer Landtag wird Erfurt zur Landeshauptstadt erklärt, wird es auch de facto, als der Ministerpräsident 1950 seinen Amtssitz nach Erfurt verlegt. Erfurt erhält damit die seiner Bedeutung entsprechende Stellung.
1948
Beginn der Arbeiten für den Aufbau des Kulturparks Cyriaksburg unter großer Beteiligung der Erfurter Bevölkerung.
1948
Die Staatliche Handelsorganisation (HO) eröffnet die ersten Läden in der Predigerstraße 1/2 und der Schlösserstraße 7 sowie eine Gaststätte am Anger 19/20.
1949
(15./16. Mai) Bei den noch relativ freien Wahlen der Delegierten des 3. Deutschen Volkskongresses stimmen von den Erwachsenen 62,48 % für die Einheitsliste, 37,52 % dagegen, von den Jugendlichen 65,40 % für die Liste, 34,60 % dagegen. Es ist dies die letzte Wahl vor der dann 40 Jahre dauernden Zeit der Scheinwahlen mit 99 %-Ergebnissen. Bereits die Wahlen zur Volkskammer, zum Landtag und zur Stadtverordnetenversammlung vom 15. Oktober 1950 erbringen ein „Ergebnis“ von 97,3 % Ja-Stimmen für die Kandidaten der Nationalen Front.
1949
(29. August) Eröffnung des Schauspielhauses im Gelände der ehemaligen „Ressource“ im Klostergang.
1949
(Oktober) Erfurt hat 179.807 Einwohner, davon 101.776 weibliche gegenüber 78.031 männlichen Bürgern. Das Gebiet der Stadt dehnt sich über 61.20 km² aus.