Häufig gestellte Fragen zum Bürgerbeteiligungshaushalt
Der Bürger- oder Beteiligungshaushalt ist ein Beteiligungsverfahren, dass die Transparenz der Haushalts- und Finanzplanung einer Kommune zum Ziel hat. Bürgerinnen und Bürger werden in das Verfahren der Haushaltsaufstellung mit einbezogen. Das Verfahren bietet die Möglichkeit der stärkeren Beteiligung der Bevölkerung an kommunalen Entscheidungsprozessen, über Investitionen zu beraten und mit zu entscheiden. Es ermöglicht Transparenz, soziale Stadtentwicklung und engagierte Bürgerschaft.
Die Geschichte des Bürgerhaushaltes, oder richtigerweise des Bürgerbeteiligungshaushaltes, hat ihren Anfang in Lateinamerika. Konkret basiert die Idee auf einem Konzept, welches in der brasilianischen Hafenstadt Porto Alegre entwickelt wurde. Seit 1989 werden dort die Bürger aktiv an der Gestaltung des kommunalen Haushaltes beteiligt. Dadurch konnte neben der beabsichtigten Haushaltskonsolidierung auch eine intensive Beteiligung und dauerhaftes Engagement der Bürger für ihr Gemeinwesen erreicht werden.
Das Modell des Bürgerbeteiligungshaushaltes aus Porto Alegre wurde zum Vorbild für Bürgerbeteiligungsverfahren in ganz Europa. In Europa und Deutschland existieren unterschiedliche Modelle des Bürgerbeteiligungshaushaltes, da das Modell an die jeweiligen öffentlichen Strukturen und Rahmenbedingungen der Städte angepasst wurde. In Deutschland haben bisher mehr als 30 Städte dieses Konzept eingeführt. Darunter Städte wie Bonn, Potsdam, der Berliner Bezirk Lichtenberg, Cottbus oder in ersten Schritten auch Hamburg. In Thüringen wird das Konzept im Rahmen eines Netzwerkes der Städte Eisenach, Erfurt, Jena, Suhl, Großbreitenbach, Westhausen und dem Landkreis Nordhausen eingeführt.
Viele Kommunen sind gezwungen, ihren Haushalt zu konsolidieren, Einsparungen vorzunehmen und genau zu prüfen, wo investiert werden kann. Gerade in diesem Prozess kann ein Bürgerbeteiligungshaushalt helfen, Prioritäten mit den Bürgerinnen und Bürger zu diskutieren. Er kann ein Mittel zur Erhöhung der Effektivität der Ausgabe von Haushaltsmitteln, ein Instrument im Kampf gegen Verschwendung und Korruption sein. Ein Instrument zur Haushaltskonsolidierung ist der Bürgerbeteiligungshaushalt in Deutschland eher nicht, da die Ursache der Haushaltskrise vielfach an ganz anderen Stellen zu suchen sind. Sehr wohl aber hilft der Bürgerbeteiligungshaushalt, für das Verständnis politischer Ursachen zu sensibilisieren.
Im Weltbank-Report „Livable cities for the 21th century“, der der Habitat-Konferenz 1996 vorlag, wurde betont, dass eine wichtige Voraussetzung für eine den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger entsprechende Versorgung mit öffentlichen Gütern und für die Sicherung einer Infrastruktur, die Städte für Investoren attraktiv macht, die Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen, darunter auch und vor allem finanzieller Entscheidungsprozesse, ist. Der Report forderte in diesem Zusammenhang eine aktivere Partnerschaft zwischen den lokalen Verwaltungen auf der einen und den Bürgern, Vereinen und den wirtschaftlichen Gruppierungen auf der anderen Seite. Im Report heißt es: „Städte in der ganzen Welt experimentieren mit diesen neuen Beziehungen. Sie arbeiten mit Basisinitiativen zusammen, um z. B. Prioritätensetzungen im Bereich der Investitionen zu finden und die dafür notwendigen Ressourcen zu mobilisieren.“ Im Rahmen dieser Habitat-Konferenz wurde die in Porto Alegre entwickelte Praxis partizipativer Haushaltspolitik als „beispielhafte Innovation“ gewürdigt und wird seitdem in diesem Sinne in den Strategien der Weltbank zur Gestaltung zukunftsfähiger Stadtentwicklung, Kommunalpolitik und Armutsbekämpfung immer wieder herausgehoben. Der Weltentwicklungsbericht der Weltbank von 2000 hebt hervor, dass der erfolgreiche partizipative Haushaltsprozess in Porto Alegre zeige, dass die Möglichkeit für lokale Gemeinschaften über die Verwendung der städtischen Ressourcen zu entscheiden, sehr effektiv für die lokale Entwicklung sei.
Wenn der Stadtrat letztendlich doch entscheidet, welchen Sinn macht dann ein Beteiligungsprozess in der Haushaltspolitik?
Die letztendliche Entscheidungskompetenz liegt und bleibt beim gewählten Stadtrat. Er bleibt uneingeschränkt in seiner demokratischen, parlamentarischen Funktion erhalten. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass die örtliche Demokratie durch das Verfahren jedoch eine starke Wiederbelebung erfährt. Zusammenhänge, Interessen, Möglichkeiten und Grenzen, wie auch deren Ursachen, werden verständlicher. Bürgerinnen und Bürger können sich umfassender informieren und so auf einer viel breiteren Basis ihre Ansatzpunkte für politisches Engagement finden. In der gemeinsamen Diskussion der Bürger untereinander, mit Politikern und Verwaltungsmitarbeitern wächst Verständnis für gemeinsame Probleme, aber auch für unterschiedliche oder gegensätzliche Positionen. Politik wird verständlicher und durchschaubarer. Einige Bürgermeister bezeichnen es als "Mittel gegen Politikverdrossenheit".
Das Votum hat keine Gesetzeskraft. Sein politisches Gewicht erhält es dadurch, dass viele Bürgerinnen und Bürger an seiner Erarbeitung teilgenommen haben und der Diskussionsprozess eine breite Öffentlichkeit erreicht hat.
Ein Gesichtspunkt des Bürgerbeteiligungshaushaltes ist die Nutzung des Wissens und der Erfahrungen von Bürgern hinsichtlich der Wirkungen politischer Entscheidungen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld. Sie bringen so andere Gesichtspunkte in haushaltspolitische Debatten ein, als dies von Kommunalpolitikern und Verwaltungsmitarbeitern geleistet werden kann. Außerdem wird damit eine öffentliche Diskussion nicht nur unter den Politikern oder zwischen Politikern und Bürgern initiiert, sondern vor allem auch unter den Bürgern selbst. Die damit verbundene Veränderung des politischen Klimas in der Kommune macht so Kommunalpolitiker auch handlungsfähiger.
Ist ein kommunaler Haushalt nicht viel zu komplex, um Gegenstand der Partizipation mit den Bürgern zu sein?
Der Bürgbeteiligungshaushalt hat nicht den Haushalt selbst zum Gegenstand, sondern die Formulierung von Prämissen für seine Aufstellung. Die Umsetzung dieser Vorstellungen in einen Haushalt (genauer: in einem Haushaltsdokument) und dessen Beschluss bleibt Pflicht und Privileg von Politik und Verwaltung. Eine breite Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern in die Haushaltsdebatten, eine verständliche Aufbereitung von Zusammenhängen im Haushalt und eine weitgehende Transparenz in allen Phasen der Haushaltsaufstellung sowie die Rechenschaft über die Abarbeitung des Haushaltes haben zur Folge, dass das Verständnis für haushaltspolitische Fragen bei den Bürgern größer wird. Gleichzeitig werden aber auch die Politiker und Verwaltungsmitarbeiter mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen unmittelbar konfrontiert.