20. Etappe Tour de Bildung: Kinoklub am Hirschlachufer

08.04.2013 17:41

"Diese Frau ist eine Legende", meint mein Vater zu mir, als ich ihm davon erzähle, dass Dagmar Wagenknecht in den Ruhestand gehen wird und der Kinoklub am Hirschlachufer von nun an ohne sie auskommen muss.

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Textreportage

"Diese Frau ist eine Legende", meint mein Vater zu mir, als ich ihm davon erzähle, dass Dagmar Wagenknecht in den Ruhestand gehen wird und der Kinoklub am Hirschlachufer von nun an ohne sie auskommen muss. Boris und ich treffen sie an einem ihrer letzten Arbeitstage an jenem Ort, den sie während der vergangenen 30 Jahre zu einer festen Institution der Erfurter Kulturlandschaft gemacht hat.
Die Vormittagsvorstellung läuft als wir gegen elf das Eckhaus mit der bekannten Adresse betreten. Im Kinderprogramm wird heute "Rübezahl" gezeigt, ein Puppentrickfilm noch aus DEFA-Zeiten. Eine Schulklasse starrt gebannt auf die Leinwand. "Bitte fotografieren Sie mich nicht neben dem Projektor mit einer Filmrolle in der Hand." Dagmar Wagenknecht hat dieses Motiv nie gemocht, Vorführen könnten andere besser. Wir setzen uns in das kleine Café, das übersät ist mit Jacken und Schultaschen.

"Ein guter Film, das heißt für mich manchmal schon, dass man kontrovers darüber diskutieren kann, ganz unabhängig vom Genre." Dagmar Wagenknecht erzählt von ihrer Leidenschaft, die sie ihr Leben lang begleitet. Von Kinobesuchen als Schulkind, von ihren Anfängen im Filmklub Weimar, von der Berlinale, die sie so gerne besucht. Wie viele Filme sie in ihrem Leben gesehen hat, hat sie nie gezählt. Mit dem Taschenrechner am Handy überschlagen wir – und kommen auf über 12.000.

"Durch eine Kollegin kam ich 1982 in den Kinoklub nach Erfurt." Das war nur sieben Jahre nach der Eröffnung. Schon zu DDR-Zeiten zeigte Erfurts inzwischen ältestes Kino "anspruchsvolle Filme jenseits des Mainstream", engagierte sich mit medienpädagogischen Projekten für Kinder und Jugendliche und lud namhafte Filmschaffende zu Premieren und Diskussionsrunden ein.

"Nach der Wende war es erst mal schwierig, das Kino weiter zu betreiben und an entsprechende Fördermittel zu gelangen. Wir mussten uns da einiges erkämpfen. Und dieser leidige Kampf ums Geld hat im Grunde nie aufgehört." Dagmar Wagenknecht hat der Streit um die Fördergelder müde gemacht. "Ich bin jetzt 64, und ich hatte mir gesagt, wenn ich ein gutes Gefühl mit der Nachfolge habe, ist es Zeit mich zurückzuziehen." Natürlich nicht ohne Wehmut – und mit dem Hinweis auf den Besucherrekord im letzten Jahr: "42.000 Besucher hatten wir 2012, so viel wie noch nie. Das zeigt, wie gefragt dieses Kino nach wie vor ist. Ich wünsche mir natürlich, dass das so bleibt und dass die Erfurter nicht nach Weimar oder Jena fahren müssen, um einen guten Film zu sehen."

Die "Neue" heißt Petra Beltz ist ebenfalls seit geraumer Zeit im Filmgeschäft tätig, zehn Jahre in der Kinderfilmarbeit und zehn Jahre bei einem Verleih. Wir treffen sie zwei Wochen später und fragen nach, was sich verändern wird. "Viele Filme gibt es schon jetzt nicht mehr auf 35 mm, das heißt, wir werden irgendwann auf Digitaltechnik umrüsten müssen. Ein 35 mm-Projektor wird aber auf jeden Fall stehen bleiben", erklärt sie.

Das Programm selbst soll sich hingegen nicht ändern: "Es wird natürlich der anspruchsvolle Film bleiben. Wir wollen allerdings versuchen die Struktur des Programms ein wenig transparenter zu machen. Das ist eine große Herausforderung bei der Vielfalt der Filme in einem kleinen Kino mit 52 Plätzen. Über die Umgestaltung unseres Cafébereiches denken wir auch nach, aber das ist vor allem eine finanzielle Frage." Die Eintrittspreise sollen laut Petra Beltz jedenfalls vorläufig nicht erhöht werden.