10. Etappe Tour de Bildung: Textil. Festival der jungen Literatur in Thüringen.
Textreportage
„Normalerweise hört man ja aus Erfurt nicht so viel“, sagt die junge Frau mit selbstgedrehter Zigarette, die aus Weimar zum Textil-Festival angereist ist, „aber manchmal lohnt es sich ja doch.“ Wir sitzen auf dem Hinterhof der alten Salinenschule unweit des Ilversgehofener Platzes. In wenigen Minuten beginnt in der umfunktionierten Turnhalle der Team-Thüringen-Slam – ein poetischer Bühnenwettstreit, bei dem das Publikum über den besten Auftritt entscheidet. Mit dabei sind große Namen der Slam-Poetry Szene: Klötgen und Koslovsky, Felix Römer, Xóchil A. Schütz. Das überwiegend studentische Publikum wird nach zwei Runden und unter frenetischem Applaus das Team Allen Earnstyzz zum Sieger küren. Die drei Jungs punkteten mit einer Performance aus Beatboxing und Spoken Word.
Bevor es losgeht, treffe ich Johanna Schuhmacher, Grafikdesignerin und Mit-Initiatorin des Festivals, in der Textilwerkstatt. In einem ehemaligen Klassenraum hängen bunte Stoffe, Nähmaschinen rattern. „Als wir über die Namensgebung für das Festival nachdachten und auf ‚Textil’ kamen, habe ich sofort ein Bild vor Augen gehabt: einen Raum mit Nähmaschinen, an denen gearbeitet wird“, erinnert sich Johanna, die gerade an einem Aufnäher arbeitet. „Im übertragenen Sinne werden hier Texte auf Textilien gebracht. Wir haben ein Stempelalphabet anfertigen lassen, und die Festivalbesucher können auf Stofffetzen, Aufnäher oder Beutel ihre Sprüche stempeln. Jemand hat sich letztes Jahr sogar ein ganzes Gedicht auf ein T-Shirt gestempelt.“ Das Textil-Festival geht dieses Jahr bereits in die zweite Runde, offenbar hat sich das Konzept bewährt. „Die Texte werden in verschiedenen Formen dargeboten, neben der Textilwerkstatt gibt es Hörstationen, man kann sich Clips anschauen und wir haben natürlich das Programm auf der Bühne.“ Über drei Abende erstrecken sich Performance und Slam Poetry, Kabarett, eine bunte Literatur-Show mit jungen Thüringer Autoren/-innen, Musik und Tanz.
„Das Textil-Festival ist ein ideales Podium für Leute, die sich ausprobieren und Gleichgesinnte treffen wollen“, findet Diana Hellwig, die im Vorfeld des Festivals an einen von sechs Literatur-Workshops teilgenommen hatte. Unter der Anleitung von Performance-Poetin Etta Streicher erarbeitete die Gruppe aus eigenen Texten kurze ‚Mini-Dramen’, die beim Festival zum ersten Mal vor Publikum aufgeführt wurden. „Ich habe in Leipzig Germanistik studiert und kenne dort die Literaturszene ein wenig. Das ist wegen der großen Universität natürlich überhaupt nicht mit Erfurt vergleichbar. Aber Erfurt braucht eine lebendige Kulturszene und viel mehr von solchen Veranstaltungen, sonst wird das hier eine arrivierte Stadt, in der junge Leute nur wenig geistige Bewegungsmöglichkeiten haben. Deshalb hoffe ich natürlich, dass es auch nächstes Jahr ein Textil-Festival geben wird.“ Das hofft auch Johanna: „Wir haben uns ja jetzt quasi etabliert. Es steckt natürlich auch eine Menge Arbeit drin. Das Festival wird ja vom Kulturrausch e.V. und Radio F.R.E.I. komplett ehrenamtlich organisiert. Im Orga-Team sind wir ungefähr zu zehnt, und es wäre schön, wenn nächstes Jahr noch ein paar Leute mitmachen.“ Johanna schaltet ihre Nähmaschine aus. „Lass uns mal rübergehen, der Slam fängt an.“