Der Tod, der muss ein Wiener sein
Von Isabella Straub
Unlängst las ich eine Kurzgeschichte über einen rastlosen Mann, der nicht wusste, wo er sich niederlassen sollte. Er beschloss, das Pferd von hinten aufzuzäumen: Wenn er wüsste, wo er begraben werden wollte, würde sich sein Wohnproblem von allein lösen. So wurde er Friedhofstourist. An der französischen Atlantikküste fand er die perfekte letzte Ruhestätte. Allein: Sie war ausverkauft. Vor Stress und Enttäuschung erlitt er auf der Rückreise einen Herzinfarkt und wurde auf einem Friedhof zwischen Industriegebiet und Autobahn beigesetzt.
An diese Story musste ich denken, als ich den Erfurter Hauptfriedhof besuchte. Dieser hätte unzweifelhaft einen Spitzenplatz im Friedhofsranking unseres bedauernswerten Protagonisten eingenommen. Parkähnlich angelegt, mit verstreuten Grabsteinen unter alten Bäumen und zahlreichen schattigen Sitzgelegenheiten, dient dieser Ort auch Quicklebendigen als Energietankstelle. Mir zum Beispiel.
Urban Gardening auf dem Miet-Grab
Als Wienerin kann ich über den Tod ein Wienerlied singen. Bei uns stirbt man nicht, man „zieht den Holzpyjama an“, „schaut sich die Erdäpfel von unten an“, „hustet aus“, „prüft, ob der Deckl passt“, „haut den Löffel weg“, „reißt a Bankl“ (eine Sitzbank umwerfen), „nimmt den 71er“ – das ist die Straßenbahn, die zum Wiener Hauptfriedhof fährt, auch liebevoll „Witwenexpress“ genannt. Im Bestattungsmuseum kann man im Sarg probeliegen – das ultimative Influencer:innen-Motiv.
Bis es so weit ist, züchtet die Wienerin Biogemüse auf dem bereits reservierten Grab. Urban Gardening auf 2,5 Quadratmetern Anbaufläche. Lasset uns beten! Alternativ kann ein leeres Fremd-Grab zum Garteln gemietet werden – für 75 Euro im Jahr. Ein besonders findiger Friedhofsverwalter funktionierte einige Grabsteine zu offenen Bücherschränken um. Wirft auch ein völlig neues Licht auf den Ausdruck „Bücherwurm“.
Überraschendes findet sich aber auch am Erfurter Hauptfriedhof: So entdeckte ich eine „Mustergrabanlage“, in der Herr und Frau Mustermann (wer sonst?) ruhen und bei der man sich – ähnlich wie im Musterhauspark – von der Qualitätsarbeit der zur Auswahl stehenden Steinmetze und Gärtner überzeugen kann. Nur fürs Probeliegen müssten Sie nach wie vor nach Wien reisen.