Erfurter Notizen 3
Von Tom Schulz
Der Mai war zu kühl und zu regnerisch. Doch gab es genügend Spargel
und neue Kartoffeln auf dem Markt zu kaufen. Der Mensch isst und isst,
und käut wieder. Dieselben Sätze. Zur Europawahl kamen mehr als die Hälfte,
was haben sie gewählt? Das halbe Übel, das Schwarze unter den Fingernägeln? Was haben sie nicht gewählt, die vierzig Prozent? Flasche leer, und
auf los, geht´s los, die Kommunen werden neu besetzt mit Volksvertretern. Spielplätze werden gebaut, Sandburgen, Strände, und Verkehrszonen beruhigt, Radwege voll von Dreirädern und Tandems. Man hört plötzlich das Gras sanft wachsen, aufatmen. Stille, Kontemplation. Dann Jubel der Heiminsassen und Heiterkeit aus dem Altersheim. Die neu gebauten Eigentumswohnungen werden in Sozialwohnungen umgewandelt. Hartz-Vier heißt Menschsein.
Die Gastro-Mafia wird zerschlagen, auf dem Anger verschwinden die Thor-Steiner-Jacken und Lonsdale-Pullover.
Wir sind glücklich, sagt der Bürgermeister oder eine Stimme, wir sind einander gewogen. Wir verstehen einander, wir gehen aufeinander zu.
Der Mensch isst und isst und käut wieder, hat den ganzen Magen voll Gras. Vorn kommt es rein und hinten wieder raus. Macht einer muh und mäh, hört ihn ein anderer? Die Kuh wird gemolken, die Kuh gibt Milch. Wenn sie alt geworden ist, schläfern wir sie ein.
Der Mai war zu kühl und zu regnerisch. Der Juni bringt uns den Sommer.
Wer möchte nicht ewig leben, den Oberkörper auf einer Schaukel oder Wippe, die Beine baumeln lassen, die Seele.
Die Seele sagt auch etwas, kaum hörbar. Möchtest du heute Abend tanzen, um einen Baum, um einen Strauch? Tu es bitte.