Erfurter Notizen
Von Tom Schulz
Bevor ich ankam, beglückwünschten mich Freunde und Bekannte.
„Mensch, Du fährst nach Erfurt und bleibst vier Monate!“
„Wann wirst Du am Fenster stehen?“
Die Freude war eher still.
Sich der Stadt nähern, heißt ihren Namen zu verstehen.
Erfort wie Erfurrt. Wie Irren? Und Furt. Jedenfalls ein Durchgang, ein Durchfluss. Erfes heißt Gera. Das Wasser, nicht dunkel oder bräunlich und auch nicht sonderlich tief an der Stelle, wo ich den Fluss überquere.
Ich bin angekommen und der Tagesstern wandert am Himmel, es gibt Licht
im Überfluss.
„Was man nicht sieht, ist nicht da. Was man nicht braucht, gibt es nicht“ –
schrieb der gebürtige Erfurter Reinhard Lettau über Thüringen.
Was man sieht:
Vom Fenster die Kirchturmspitzen, die Meisen im Baum. An einer Imbissbude das Wort Thüringer Rostbratwurst auf Kyrillisch, die Bier-Punks vorm Anger, die traurigen Straßenmusiker von irgendeinem Balkan. An einem Sonntagnachmittag Studenten und Hippie-Pärchen auf der Wiese von Klein-Venedig.
Was man nicht sieht?
Nachts werden die Türen der Mehrfamilienhäuser von innen zweimal verschlossen. Wovor fürchten sich die Erfurterinnen?