Thüringer Bachwochen – Von Luo Lingyuan
"Das will ich genauer wissen..."
Am Ostersonntag kurz vor 11 Uhr betrete ich den Rathaussaal, dessen Schönheit mich gleich begeistert. Die großen Bilder an der Wand, die prächtigen Kronleuchter: ein Schmuckstück, ein kleiner Palast der Geschichte.
Eine Tür vorne in der Mitte öffnet sich. Der Pianist Rudolf Lutz und der Musikwissenschaftler Anselm Hartinger, Chef des Geschichtsmuseums, betreten den Saal. Der eine erzählt vom Leben der Bachfamilie in Erfurt, und der andere untermalt es auf dem Klavier. Dass die Bachfamilie 61 Taufen und 16 Hochzeiten in der Kaufmannskirche gefeiert hat, klingt irgendwie großartig. Welche heutige Familie kann so etwas von sich sagen, wo die Kinder über den halben Globus verstreut sind und oft kaum die Großeltern kennen?
Den Biergeschmack in Melodien verwandelt
Dann wird es lustig: Herr Hartinger erzählt, welche Biere damals bei so einer Hochzeit getrunken wurden, und das Publikum wird gefragt, ob es die Biere kennt. Schon lässt der Pianist seine Finger über die Tasten gleiten und verwandelt den Biergeschmack in Melodien. Seine Improvisationen sind so überzeugend, dass alle begeistert klatschen. Und obwohl ich den bitteren Gerstensaft nur sehr selten trinke, klatsche ich kräftig mit: Die beiden Virtuosen haben gezaubert! Jetzt sind Bier und Bach eine köstliche Einheit geworden und man kann sich vorstellen, woher die Leibesfülle des Komponisten kam.
Es fehlt nicht an Bravorufen
Zum Schluss wird eins der Wandgemälde in ein kleines Musikstück verwandelt: Der Museumsmann erzählt die Geschichte, und der Mann am Klavier setzt sie Schritt für Schritt in Musik um. Eine reizende Kombination von Stadtgeschichte und musikalischer Improvisation. Das dankbare Publikum spendet den beiden Meistern zwei Minuten lang Beifall, und es fehlt nicht an Bravorufen.
Musik in Lissabon und Warschau
Ich liebe Musik. Habe ich eine Lesung in Lissabon, muss zu einem Fado-Konzert. Mache ich mit meiner Familie Urlaub in Warschau, sitzen wir beim Chopin-Festival in der Heiligkreuzkirche und im Lazienki-Park.
Ungewöhnliche Klänge aus den alten Instrumenten
Nachdem mir das Konzert im Rathausaal so gut gefallen hat, lasse ich mir natürlich auch das Konzert am 30. April im Augustinerkloster nicht entgehen. Hier werden alte sakrale Werke gespielt, die Johann Sebastian Bach als Student und Arrangeur bearbeitet hat. Obwohl sie bis zum letzten Platz besetzt ist, ist es recht kalt in der Kirche. Alle sitzen mit Mantel und Schal da, und trotzdem spürt man, wie einem die Kälte an den Beinen hochkriecht. Aber niemand rührt sich, keiner räuspert sich oder hustet, um die Musik nicht zu stören. Die zwei vortrefflichen Frauenstimmen des Ensemble polyharmonique, der fabelhafte Geigenspieler des Barockorchesters La Folia, die ungewöhnlichen Klänge aus den alten Instrumenten …
„Wie in einem Luftschiff hinauf in den weiten Himmel“
Die Zuhörer werden in die alte, fromme Zeit entführt und durch die Schöpferkraft der Musik wie in einem Luftschiff hinauf in den weiten Himmel getragen. Für diese seltene sakrale Zeitreise bedanken sich Zuhörer auch hier mit stürmischem Beifall. Und ich bin glücklich, dass ich mit dabei sein darf.
Mit zwei Konzerten haben die Bachwochen mich überzeugt und mich zu ihrem Fan gemacht. Ich sage mir: Da will ich wieder hin, zu den Thüringer Bachwochen!