Bilder-Geschichten: Die Heilige Elisabeth von Thüringen: Ein Rosenwunder als Vorbild im Kampf für Frauenrechte heute?
Südwand der Elisabethkapelle im Nikolaiturm
Im Bestreben, das eigene Leben selbst zu gestalten, widersetzten sich immer wieder Frauen ihren Ehemännern und sonstigen männlichen Vormündern; für diesen Bruch mit den gesellschaftlichen Normen war jedoch häufig ein hoher Preis zu zahlen. Die später heiliggesprochene Elisabeth von Thüringen lehnte sich in diesem Sinne gegen die Lebenskonzepte ihres eigenen Adelsstandes auf. Mit ihrem kompromisslosen Einsatz für die Armen war sie eine der eindrucksvollsten Frauen des Mittelalters. Obwohl Elisabeths Lebensspuren eher mit Eisenach und Marburg verbunden sind, finden sich auch in Erfurt Zeugnisse ihrer Verehrung und Wirkung.
Bildbeschreibung
Die Fotografie aus dem Jahr 2006 von Christine Riesterer zeigt entlang der Südwand der Kapelle im Nikolaiturm das größte zusammenhängende Detail der mittelalterlichen Wandmalerei. Gegenstand ist das Leben der ungarischen Königstochter Elisabeth, die im Alter von vier Jahren dem thüringischen Landgrafen Ludwig IV. versprochen wurde. Den Hintergrund bildet ein farbenfrohes Orange, vor dem die Abbildungen durch ein horizontales Schriftband, den sogenannten Titulus, strukturiert werden. Wie die Farbaufnahme zeigt, ist die linke Hälfte mit Ausnahme einiger Fragmente vollständig zerstört. Die erste Szene lässt nur eine blaue Wolke mit Sternen erkennen, die auf die Weissagung der Geburt von Elisabeth hindeuten könnte. Die nächsten beiden Bilder befinden sich über dem Türbogen; sie sind von einem architektonischen Gemäuer umgeben, das durch eine Zwischenwand zwei Innenräume konstruiert. In der ersten Szene stehen zwei Diener mit länglichen Kerzen hinter einem Bettgestell. Sie tragen typische Kleidung des 14. Jahrhundert mit Beinlingen und Schnabelschuhen. Im Bett erkennt der Betrachter einen Mann und eine schlafende Frau. Über dem Kopf des Mannes steht, in gotischen Majuskeln und Minuskeln, der Schriftzug „LAntGREVE“ geschrieben. Es wird vermutet, dass es sich hierbei um die Eltern des thüringischen Landgrafen Ludwig IV., des Ehemanns von Elisabeth handelt. Die Kunsthistorikerin Beatrix Leisner, die den Zyklus untersucht hat, interpretiert dieses Bild als Offenbarung. Die Kerzenträger überbringen dem Landgrafen Hermann I. die Prophezeiung der Geburt Elisabeths. In der folgenden Szene sitzen sich ein Schriftführer und der Landgraf mit Federhut gegenüber. Er hat seine Hand im Gestus des Diktierens erhoben und bittet in dem Schreiben um die Verlobung seines Sohnes mit der ungarischen Königstochter Elisabeth. Hinter ihm befindet sich Ludwig im Knabenalter, der ebenfalls mit höfischer Kleidung ausgestattet ist. Ihm zur Seite steht seine Mutter Sophie, die ihre Hand liebevoll auf die Schulter des Jungen gelegt hat. In der darauffolgenden Abbildung übergibt der Schreiber die Schriftrolle an drei Reiter, die an das ungarische Königshaus gesandt werden. Im unteren Bild sind fünf Personen an einer langen Tafel zusammen dargestellt. Es zeigt das Hochzeitsmahl von Ludwig und Elisabeth, die als einzige Figur mit der Überschrift „ELIZABET“ gekennzeichnet ist.
Der Bilderzyklus im kunsthistorischen Kontext
Der kunsthistorisch bedeutsame Zyklus belegt die Verehrung Elisabeths durch den ursprünglich ehemals karitativ ausgerichteten Deutschen Ritterorden, dessen benachbarte Erfurter Niederlassung (Komturei – daher der Name Comthurgasse) das Patronat über die Nikolaikirche ausübte. Bewundert wurde die Heilige Elisabeth vor allem wegen ihres eigenwilligen Lebenswandels. Sie unterstützte Arme, Kranke und ältere Menschen. Gleichzeitig entwickelt sie eine tiefe Verbundenheit mit Kirche und Glauben. Mit ihrer Fürsorge machte sich Elisabeth jedoch auch Feinde. So berichtet die Legende vom „Rosenwunder“, dass sich die Landgräfin einst mit einem gefüllten Brotkorb zu den Armen und Kranken aufmachte. Auf diesem Weg traf sie ihren Schwager – nach anderen Versionen ihren Mann oder ihre Schwiegermutter –, der sich misstrauisch nach dem Inhalt erkundigte. Elisabeth beteuerte zum Schein, dass es sich um Rosen handele – als das Tuch vom Behältnis entfernt wurde, fanden sich jedoch tatsächlich frisch duftende Rosen darin.
Das Motiv von „Brot und Rosen“ wurde ebenfalls zum Symbol der Frauenbewegung von 1912. Tausende Textilverarbeiterinnen streikten für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn. Sie sangen das auf ein Gedicht von James Oppenheim zurückgehende Lied „Brot und Rosen“, das zum Leitspruch der amerikanischen Frauenrechtsbewegung wurde. Die Frauen forderten Brot als Symbol für auskömmlichen Lohn und Rosen als Sinnbild eines besseren Lebens.
So in Beziehung gesetzt, rücken Mittelalter und Gegenwart eng zusammen. Elisabeth erkannte persönlich die Ungerechtigkeit auf der Welt und würdigte die Menschen, indem sie Arme versorgte und Kranke heilte. Der Kampf um gleichen Lohn und solidarische Lebensverhältnisse für Frauen und Männer ist bis heute nicht abgeschlossen. Auch deshalb gibt es verschiedene Hilfsorganisationen, die sich der Worte „Brot und Rosen“ als Leitspruch annehmen.
Die Geschichte des Rosenwunders
Da geschah es, dass Elisabeth, wie sie täglich tat, einmal weder Speisen und Gaben hinabtrug an den Ort, wo die Lahmen und Blinden und Notleidenden sich einfanden, und ihr der Landgraf begegnete, der diesmal kein freundliches Gesicht zeigte, denn es war ihm eben frisch hinterbracht worden, wie sie alles verschenke. Da rief sie der Landgraf nicht gerade zärtlich an: „Was trägst du da?“, und sie sah in seinen Mienen den Wetterbaum seines Unwillens aufsteigen und erbebte und sprach mit unsicherer Stimme: „Herr, Rosen!“ - „Zeige her!“ rief der Landgraf und hob die Hülle von dem Korbe - siehe, da war der Korb eitel voll Rosen und andere blühende Blumen. Da stand der Landgraf beschämt vor ihr da, und wenn der und jener Diener wieder sich unterfing, gegen die milde Freigebigkeit der Herrin zu reden, so sprach der Landgraf: „Lasset sie immer gewähren, da sie an Almosengeben ihre Freude hat, wenn sie uns nur Wartburg und Eisenach und die Niuwenburg nicht verschenkt.“
Quelle: Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853
Öffnungszeiten der Elisabethkapelle im Nikolaiturm
Mai bis Oktober:
Montag und Mittwoch: jeweils 15:30 Uhr
Weitere Führungen sind auf Anfrage und nach Vereinbarung möglich.
November bis April:
auf Anfrage