Universitätspräsident Kai Brodersen: Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder

01.02.2014 00:00

"Geht man durch Erfurts Zentrum, kommt man an fünf farbigen Reliefs vorbei. Jedes zeigt eine im Freien vor einer ummauerten Stadt sitzende Frauengestalt und ein Tier - einen Adler, einen Hirsch mit goldenem Geweih, einen Hund, einen Affen und eine Schildkröte. Die Frauen haben dabei jeweils etwas in der Hand - einen Spiegel, eine Laute, einen Blumenstrauß, einen Weinpokal und einen Vogel, und in manchen der Landschaften finden sich weitere Objekte - eine Baum etwa, eine Orgel, ein Korb voller Früchte oder ein Schiff... Was sagen diese Bilder?", fragt der Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt und deren Präsident, Kai Brodersen. Er setzt damit den Reigen einer monatlichen Reihe fort, in der prominente Personen des öffentlichen Lebens der Landeshauptstadt Erfurt ihre persönliche Sicht und Auffassung zur Sprache und ihre Beziehung zum Wort darlegen werden.

Worte, die mehr als 1000 Bilder sagen!

Porträt von Kai Brodersen, Präsident der Universität Erfurt
Foto: Prof. Dr. Kai. Brodersen: "Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder" Foto: © Pressestelle, Universität Erfurt

Die im Hintergrund dargestellte Stadt ist nicht unsere, die Landschaft ist nicht Thüringen und die Frauen sind keine einst berühmten Erfurterinnen. Sagen uns die Bilder mehr als 1000 Worte?

Visus, Auditus, Odoratus, Gustus und Tactus

Nein, um die Bilder zu verstehen, genügt jeweils nur ein einziges Wort im Rahmen über den Reliefs, jedenfalls wenn wir Latein verstehen (und zum Lateinlernen ist es nie zu spät!). Angeführt werden hier nämlich Visus, Auditus, Odoratus, Gustus und Tactus, also Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten. Das also ist es, was die Bilder zeigen wollen: die fünf Sinne des Menschen! Solche Bilder waren im 16. Jahrhundert in Kupferstichen verbreitet worden; nach solchen Vorlagen sind auch jene fünf Reliefs gestaltet. Gebildete Betrachterinnen und Betrachter vermochten damals diese so genannten Allegorien zu entschlüsseln - und hatten Vergnügen daran, die komplexe Darstellung auf ein einziges Wort zu reduzieren. Tatsächlich sagt nämlich hier ein Wort mehr als ein noch so farbenfrohes Bild!

Bilder gehören zu unserem medialen Alltag

Wie viele Worte braucht ein Mensch? Ohne Worte können wir unseren Mitmenschen Sinneseindrücke nicht schildern, Gefühle nicht vermitteln, aber auch Sachverhalte nur unzureichend wiedergeben. Bilder - zumal bewegte Bilder - gehören heute zu unserem medialen Alltag, und jede Nachrichtenredaktion ist eifrig bemüht ist, simple Worte mit Fotos und Filmen zu unterlegen - seien dies „Gewitter“, „Verkehrsstau“ oder „Glück“! Worte ermöglichen uns oft, mit wenig Aufwand mehr zu kommunizieren als dies tausend Bilder können - und da wir uns so viel wie möglich miteinander austauschen möchten, ist die Frage, wie viele Worte ein Mensch braucht, für mich ganz einfach zu beantworten: So viele wie irgend möglich!

Allegorie einer sitzenden Frau mit ausgestrecktem Arm, auf dem ein Vogel sitzt. Im Hintergrund fiktive Stadt mit Fluss.
Foto: "Tactus" - Tasten. Reliefbild aus dem "Fünfsinne-Fries" am "Haus zum Breiten Herd" Foto: © Privat

Gaffköpfe in den Giebeln sehen zu

Ach, Sie fragen, wo Sie die Reliefs mit den fünf Sinnen finden? Sie kennen die Reliefs bestimmt, wenn sie an der Fassade des Hauses zum Breiten Herd am Fischmarkt in Erfurt vorbeigekommen sind. Dort sind sie über dem Erdgeschoss zu sehen. Aber passen Sie auf, wenn Sie das nächste Mal dort stehen bleiben, um die Bilder und Worte zu betrachten: Dann sehen Ihnen die so genannten Gaffköpfe in den Giebeln über den Fenstern im zweiten Stockwerk zu - und auch wenn diese nichts sagen können bin ich sicher: Sie selbst finden - und brauchen - hier wie im ganzen Leben Worte, die mehr als 1000 Bilder sagen!

Kai Brodersen

Herr Prof. Dr. Kai Brodersen
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