„Ohne Zuwanderung wäre der Ofen längst aus“

07.02.2025 13:44

Die letzten Wochen und Monate sind nicht einfach für mich als Beauftragter für Migration und Integration der Landeshauptstadt Erfurt. Von unqualifizierten Kommentaren bis hin zu persönlichen Anfeindungen ist alles dabei, was die Hetz- und Hasspalette zu bieten hat. Und trotzdem ist es nichts im Vergleich zu dem, was Menschen mit Migrationsgeschichte zurzeit in unserem Land erleben müssen.

Erfurts Beauftragter für Migration und Integration Daniel Stassny meldet sich zu Wort

Gewalt und Beschimpfungen auf offener Straße, zunehmende Radikalisierung, Bedrohungen von Kindern und Jugendlichen und die Gleichstellung mit Verbrechern sind an der Tagesordnung. Ausländer gleich Gewalttäter oder Attentäter, so der allgemeine Tenor – nicht mehr nur bei Rechtspopulisten.

Remigration, Stopp des Familiennachzugs und Zuwanderungsstopp als Allheilmittel.

Dabei scheinen die Lösungen, die zurzeit propagiert werden, ganz einfach. Zuwanderungsstopp, Familiennachzug beenden, Grenzen dicht und dann millionenfach abschieben. Das kann man fordern. In einem demokratischen Land hat jeder das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Nur sollten dann auch die Konsequenzen offen benannt werden! Und die wären verheerend. Ohne Zuwanderung ginge der Ofen bald aus bzw. wäre es längst ohne die Millionen Beschäftigten mit Migrationsgeschichte, die gerade in kritischen Bereichen die Maschine am Laufen halten.

Ohne Zuwanderung müssten wir unsere „Alten“ allein pflegen.

Rund ein Viertel aller Beschäftigten in medizinischen Berufen hat laut Mikrozensus 2021 eine eigene oder familiäre Einwanderungsgeschichte. In einzelnen Bereichen ist der Anteil sogar noch höher. Im Bereich der Altenpflege liegt er bei über 30 Prozent und in der Human- und Zahnmedizin bei rund 28 Prozent. Gerade in Thüringen gäbe es ohne Zuwanderung keine flächendeckende medizinische Versorgung. Mit mehr als 16 Prozent ausländischer Ärztinnen und Ärzte nimmt Thüringen laut Mikrozensus einen Spitzenplatz unter den deutschen Bundesländern ein.

Reparieren Sie Ihre Heizung oder Ihr Auto doch allein.

Auch im Handwerk können viele Betriebe nur überlegen, weil Menschen mit Migrationsgeschichte die Fachkräftelücke füllen. Laut einer Studie der Bundesregierung aus 2022 zählten mehr als 15 Prozent aller Beschäftigten bereits zu dieser Gruppe, Tendenz steigend. Bei den Auszubildenden ist die Situation ähnlich, mehr als ein Drittel aller Auszubildenden mit Migrationshintergrund begannen eine Ausbildung im Handwerk.

Ohne Familiennachzug wird sich die medizinische Versorgung verschlechtern.

Wird der Familiennachzug pauschal gestoppt, werden viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in medizinischen Berufen aber auch im Handwerk, im Ingenieurbereich, in Kunst und Kultur und allen anderen Arbeitsbereichen unser Land verlassen. Andere Staaten werben massiv um sie, gerade auch mit dem Thema Familiennachzug. Warum sollten Sie unserer Gesellschaft einen Dienst erweisen, wenn unsere Gesellschaft sie und ihre Familien nicht akzeptiert, toleriert und haben möchte.

Zusammengefasst ist es sehr wahrscheinlich, dass ihnen eine syrische Ärztin das Leben rettet, wenn es sein muss, dass ein Afghane ihre Heizung repariert, Menschen vom Balkan oder aus Asien die Großmutter oder Eltern pflegen oder den Bus und die Straßenbahn fahren und dass alles, obwohl ein Teil der Bevölkerung sie lieber heute als morgen nach Hause schicken möchte.

Als vernunftbegabte Wesen sollten wir differenzieren. Wir können nicht alle über einen Kamm scheren, es gibt keine Sippenhaft. Wir brauchen Menschen mit Migrationsgeschichte in unserem Land. Im Übrigen schon immer. Deutschland, auch die DDR, war schon immer ein Einwanderungsland. Wer etwas anderes behauptet, hat schlichtweg keine Ahnung von der Lebensrealität in unserem Land oder möchte ganz bewusst spalten und hetzen. Mal abgesehen davon, dass diese Menschen das gleiche Recht auf ein gutes Leben in Frieden und Sicherheit haben, wie wir es für uns in Anspruch nehmen. Sie bereichern nicht nur die wirtschaftlichen Bereiche unseres Landes, sondern auch unsere Gesellschaft, unsere Kultur und Kunst.