Stadtverwaltung Erfurt nimmt Stellung zu Vorwürfen
In dem ersten Bericht behauptet die TA, dass die Gleichstellungsbeauftragte seit Wochen zu Vorwürfen sexueller Pflichtverletzung gegenüber weiblichen Personen und Machtmissbrauch auf verschiedenen Ebenen im Theater ermittelt. Gleichzeitig zitiert die Zeitung Mary-Ellen Witzmann damit, dass einige der ihr bekannten Fälle länger zurückliegen und deswegen auch die Möglichkeit erwogen werden muss, dass Pflichtverletzungen seitens der Stadtverwaltung vorliegen könnten. Es wird der Eindruck erweckt, dass die Stadtspitze nach Beginn der Ermittlungen der Gleichstellungsbeauftragten diese zu verhindern suchte.
Am 12. Juli 2023 nahm Mary-Ellen Witzmann, die seit zehn Jahren in der Gleichstellung/Frauenbüro arbeitet, Kontakt mit dem zuständigen Kulturbeigeordneten Dr. Tobias J. Knoblich auf. In dem ausführlichen Gespräch informierte sie den Dezernenten über einen aktuellen Fall angeblicher sexueller Belästigung am Theater, der sich in Aufklärung befinden würde. Sie erwähnte auch zwei ältere, verjährte Fälle.
Die Informationen sollten zunächst auch auf Wunsch der Gleichstellungsbeauftragten vertraulich behandelt werden. Vereinbart war, dass nach Abschluss der Informationsgewinnung und -verarbeitung eine schriftliche Befassung der Stadtspitze erfolgt, damit sie auf dieser Grundlage das weitere Vorgehen beraten, ergänzende Befragungen durchführen oder ggf. andere Schlussfolgerungen ziehen kann. Dies ist auch insofern grundlegend, als dass nur so der Status der Informationen, die Haltung der Betroffenen oder weitere Informationsbedarfe festgestellt werden können. „Die Vorlage dieses Berichts wurde in Aussicht gestellt, erfolgte trotz Nachfragens jedoch nie“, sagt Dr. Knoblich.
Am 29. August kam es zu einem Treffen mit dem Oberbürgermeister, an dem auch der Beigeordnete teilnahm. Inhalt war der Verdacht seitens der Gleichstellungsbeauftragten, dass am Theater Zustände sexueller Übergriffe und Machtmissbrauch zu beklagen seien. Fakten blieb Mary-Ellen-Witzmann auch in diesem Treffen schuldig. Sie wurde auch vom Oberbürgermeister, der sich über die Anschuldigungen bestürzt zeigte, gebeten, bis zum 8. September 2023 einen schriftlichen Bericht vorzulegen.
Oberbürgermeister Andreas Bausewein beauftragte den zuständigen Dezernenten Dr. Knoblich mit der Aufklärung der Sachveralte auf Grundlage des von Frau Witzmann zu liefernden Materials. Bis heute hat Frau Witzmann trotz mehrfacher Aufforderung weder einen Bericht noch Belege vorgelegt, die ein Handeln der Stadtspitze erlaubt hätten, obwohl sie mehrfach zusicherte, genau diese Fakten zu liefern.
Dafür kam es zu diversen Presseanfragen des Lokalchefs der Thüringer Allgemeinen Casjen Carl: an den Generalintendanten des Theaters, an die ehemalige und die aktuelle Gleichstellungsbeauftragte. Die dezidierten Fragen schickte er nicht über die Pressestelle, sondern direkt an die betroffenen Personen. Während sich die ehemalige Gleichstellungsbeauftrage mit der Pressestelle abstimmte, schickte Mary-Ellen Witzmann ihre ausführlichen Antworten direkt an Casjen Carl.
Besonders brisant dabei: In ihrer Antwort, die nicht mit der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Landeshauptstadt Erfurt abgestimmt war, erhebt sie mehrere sehr schwere Vorwürfe. So antwortet sie auf die Frage, ob ihr ein aktueller Fall eines sexuellen Übergriffes gemeldet worden sei, mit ja. Und führt fort: „Der Vorgang fügt sich allerdings in das Bild eines nachhaltig etablierten Systems, in dem Vorgesetzte das weibliche Personal scheinbar selbstverständlich mit Verhaltensweisen konfrontieren, die als grobe Verletzung der sexuellen Integrität empfunden werden…“ Und: „Mir liegen bislang Anzeigen von sechs Personen vor. Die Zeitspanne der angezeigten Verfehlungen reicht von der vorigen Spielzeit bis in das Jahr 2007 zurück.“ Dabei nennt sie auch angebliche Täter. Sie vermutet weiter: „Der Zeitraum und die Häufigkeit der mir bereits jetzt bekannten Vorgänge lässt ein starkes Dunkelfeld vermuten.“ Des weiteren belastet Mary-Ellen Witzmann auch die Stadtverwaltung als Rechtsträgerin des Theaters: „Geht man allerdings von einem langjährig gepflegten System sexueller Übergriffe aus, so kommt man nicht um die Feststellung umhin, dass sich dieses ohne erkennbare Beachtung oder gar Intervention der aufsichtsführenden Stellen entwickeln und halten konnte. Nach den mir vorliegenden Informationen kann ich auch nicht ausschließen, dass die Stadtverwaltung über Informationen verfügte, die schon in der Vergangenheit Anlass zu einem entschiedenen Tätigwerden gegeben haben könnten.“
Die Gleichstellungsbeauftragte informierte die Presse, bevor sie ihre Analyse dokumentiert und ihrem Vorgesetzten mitgeteilt hat. „Im Gleichstellungsgesetz ist klar geregelt, wie in einem solchen Fall vorzugehen ist. Nach Paragraf 23, Absatz 2 ist die Dienstellenleitung von der Beauftragten zu unterstützen, Maßnahmen zum Abbau sexualisierter Gewalt zu ergreifen“, sagt Dr. Tobias J. Knoblich. Er zitiert weiter aus dem Gesetz: „Die Gleichstellungsbeauftragte nimmt Beschwerden über sexuelle Belästigung entgegen, berät die Betroffenen und leitet mit deren Einverständnis die Mitteilungen an die Dienststellenleitung weiter.“
Von eigenständigen Ermittlungen sei im Gesetz nicht die Rede. „Bei begründeten Vorbehalten gegenüber der Stadtspitze hätte die Möglichkeit bestanden, sich direkt an die Kommunalaufsicht oder gleich an die Staatsanwaltschaft zu wenden“, sagt Dr. Knoblich. „Nur so hätte eine zügige und wirksame Aufklärungsarbeit vorangetrieben werden können.“
Am 18. Oktober informierte Mary-Ellen Witzmann den Pressesprecher über die geplante Veröffentlichung einer Pressemitteilung ihrerseits. Inhalt: „Die Gleichstellungsbeauftrage ermittelt seit Wochen zu Vorwürfen sexuell motivierter Pflichtverletzungen.“ Sie sehe sich berechtigt, diese Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ferner strebe sie eine unabhängige anwaltliche Aufklärung an.
Dr. Knoblich: „Informationen, die im Rahmen von laufenden Ermittlungen gewonnen werden, sind nicht mit der gesetzlich verbrieften Öffentlichkeitsarbeit der Gleichstellungsbeauftragten zu verwechseln. Das kommt nicht nur einer Vorverurteilung aller beteiligten Akteure gleich, sondern gefährdet auch das eigentliche Verfahren.“ Aus diesem Grunde musste der Oberbürgermeister ihr die Veröffentlichung untersagen.
Dr. Tobias J. Knoblich: „Wir bedauern es ausdrücklich, dass die vorbehaltlose und schnelle Aufklärung der Vorwürfe durch das Verhalten von Frau Witzmann behindert wird und der Eindruck entsteht, dass die Stadtspitze kein Interesse an diesem Thema habe. Genau das Gegenteil ist der Fall – wir dulden weder sexuelle Gewalt noch Machtmissbrauch.“
Zwischenzeitlich hat der Oberbürgermeister eine Kommission unter Leitung des Beigeordneten beauftragt, die den durch Frau Witzmann bekannt gewordenen Vorwürfen auch ohne die Unterstützung der Gleichstellungsbeauftragten nachgehen wird. Die Arbeit der Kommission, bei auch der Personalrat des Theaters eingebunden ist, wird anwaltlich beraten.