Oberbürgermeister Bausewein schreibt offenen Brief ans Land. Regelbetreuung in Kitas muss schnellstmöglich kommen.
Offener Brief
Sehr geehrte Frau Ministerin Werner, sehr geehrter Herr Minister Holter,
am 18. Mai hat sich nach einigen Wochen Pause erstmals der Jugendhilfeausschuss der Landeshauptstadt zu einer Sitzung getroffen. Das Jugendamt hat die Möglichkeit genutzt die Ausschussmitglieder umfassend über die Herausforderungen während der Corona-Pandemie zu informieren. Deutlich wurde: Wir benötigen Rechtssicherheit bei der Umsetzung der Landesverordnung und gleichzeitig erwarten wir Regelungen, die die Rückkehr in den Regelbetrieb zulassen.
Die Stadt Erfurt unterstützt das Ziel, allen Kindern den Zugang zu einem Kindergarten/einer Kindertagesstätte zu ermöglichen. Bei der Erarbeitung der einrichtungsspezifischen Konzepte für jede der 107 Einrichtungen stoßen wir dabei auf eine Vielzahl von Problemen. Die räumlichen und personellen Vorgaben und Empfehlungen des Landes führen in der Mehrzahl der Erfurter Einrichtungen dazu, dass nur maximal 50 Prozent der angemeldeten Kinder zeitgleich bei Einhaltung der Parameter in den Einrichtungen betreut werden können.
Viele Eltern und Einrichtungsleitungen haben bei der derzeitigen Infektionslage kein Verständnis dafür, dass es nur einen eingeschränkten Regelbetrieb geben soll. Eltern, die in systemrelevanten Berufen tätig sind bzw. die bisher Anspruch auf die Notbetreuung ihrer Kinder haben, kann die Betreuung nicht im erforderlichen Umfang zugesichert werden. Durch notwendige Reduzierungen der Betreuungszeit, Wechselmodelle usw. wird das noch deutlich erschwert. Gleichzeit erwarten die Eltern, die nunmehr seit 9 Wochen keine Betreuungsangebote erhalten konnten, dass sich diese Situation für sie schnell ändert.
Aufgrund der aktuellen Regelungen im § 7 der Landesverordnung stehen wir vor der Entscheidung, ob wir die erweiterte Notbetreuung fortsetzen oder zum grundsätzlichen Regelbetrieb übergehen. In beiden Fällen handeln wir nicht auf der Grundlage der Verordnung.
Während der Notbetreuung hat die Stadt Erfurt auf die Erhebung der Elternbeiträge verzichtet. Mit dem Gesetzentwurf zur Umsetzung erforderlicher Maßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie plant das Land, den Kommunen die fehlenden Einnahmen zu ersetzen. Ist vorgesehen, die Eltern auch während des anstehenden und nicht absehbaren Zeitraumes des eingeschränkten Regelbetriebes finanziell zu entlasten, insbesondere wenn der Rechtsanspruch auf eine tägliche Betreuungszeit von 10 Stunden nicht umgesetzt werden kann?
Welches Verfahren favorisiert das Land bei der Neuaufnahme von Kindern in Kindergärten und bei Tagespflegepersonen? Viele Eltern warten seit Wochen auf diese Möglichkeit um ihr Beschäftigungsverhältnis wieder aufnehmen zu können.
Gibt es unterstützende Maßnahmen des Landes bei der Bereitstellung zusätzlichen Personals beispielsweise durch den verstärkten Einsatz von Studierenden in Praktika (die FH wäre prinzipiell dazu bereit, den Unterrichtsplan zu verändern) oder durch Abordnung von Horterzieherinnen - und Erziehern? Unter welchen Bedingungen wäre ein solcher Einsatz möglich? Von den Regelungen in der Landesverordnung sind bisher Integrationshelfer/Schulbegleiter nicht erfasst. Plant das Land hier eine Freigabe der Angebote?
Sehr geehrte Frau Ministerin Werner, sehr geehrter Minister Holter,
als Landeshauptstadt Erfurt haben wir den Rechtsanspruch der Eltern auf gute Betreuung ihrer Kinder umzusetzen, die Sicherheit der Beschäftigten auf hohem Niveau zu gewährleisten und dem Recht des Kindes auf eine gute Bildung nachzukommen. Wir erachten es als dringend erforderlich, zum frühestmöglichen Zeitpunkt von der erweiterten Notbetreuung in die Regelbetreuung unter Berücksichtigung verstärkter hygienischer Maßnahmen überzugehen. Insbesondere mit Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen in der Landeshauptstadt (1 aktiver Fall) ist die jetzt vorliegende Regelung überzogen, allen Kindern sollte der tägliche Besuch der Kindertageseinrichtungen (ohne zeitliche Einschränkungen; Wechselmodelle u. ä.) ermöglicht werden. Nur so kann dem Bedarf von Kindern und besonders berufstätigen Eltern Rechnung getragen werden. Diese Auffassung teilt auch die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), der Deutschen Akademie für Kinder und Jugendmedizin (DAKJ) und dem Berufsverband der Kinder und Jugendärzte in Deutschland (bvkj e.V.), der wir ausdrücklich zustimmen.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Andreas Bausewein