Otto Schön, "Goldlack mit Kakteen". Angermuseum erhält ein Hauptwerk des Thüringers Otto Schön als Dauerleihgabe der Ernst von Siemens Kunststiftung
Der aus Suhl in Thüringen stammende Zeichner, Druckgraphiker und Maler Otto Schön zählt zu den entdeckungswürdigen Unbekannten der Neuen Sachlichkeit, als deren Vertreter (nach expressionistischen Anfängen und kubistischen Experimenten) er seit 1924 gilt. In der künstlerischen Eigenart und artistischen Qualität seiner ans Phantastische streifenden Realistik steht Schön den heute bekannteren Malern der Neuen Sachlichkeit, wie Alexander Kanoldt oder Christian Schad, aber auch konzeptionell verwandten Arbeiten von Otto Dix in nichts nach. 1920 bis 1935 nimmt Schön als Mitglied der Münchner Sezession an deren Ausstellungen teil, wo auch sein "Goldlack mit Kakteen" gezeigt wird. 1934 ist er Preisträger der Deutschen Albrecht Dürer-Stiftung der Stadt Nürnberg. Bei der Plünderung von Haus und Atelier im amerikanisch besetzten Göppingen kommt ein Großteil der dort gelagerten Werke Schöns abhanden oder wird zerstört. Seine Bilder sind heute selten zu finden.
Wir sehen ein Blumenfenster, das die genau kalkulierte Mitte hält zwischen der klassischen Disposition bildparallel aufgereihter Gegenstände vor unbestimmtem Hintergrund und der Ausweitung zum Interieur. Die dem Hochformat immanente Aktualisierung der Raumtiefe wird gemildert durch die parataktische Vertikalstruktur der Bildordnung, die in den planimetrisch und räumlich gestaffelten Pflanzstäben besonders sinnfällig wird. Ein zur Bildebene leicht schräg geführtes Schiebefenster begrenzt die Binnenräumlichkeit des aufsichtig gegebenen Vordergrundes mit eng gestellten Sukkulenten, die Licht erhalten vom rechts anzunehmenden Fenster, dessen helle Laibungskante den Bildrand markiert. Während vor dem herabgelassenen Schiebefenster zusammen mit hochstämmigen Kakteen blühender Goldlack in mehreren Trieben aufwächst, zeigt sich hinter der Scheibe ein Ensemble von topfartigen Gefäßen und ganz nah der geometrischen Mittelvertikale eine blaue Kanne, sowie, vom oberen Bildrand überschnitten, eine bläulich dunkelgrüne Begonie. Um die Kanne und in der Dunkelzone am oberen Rand wird der leicht milchige Reflex des Fensterglases deutlich sichtbar: Ein akribisch konzipiertes Virtuosenstück - nicht allein in der malerischen Behandlung der Kakteen!
Deren Aufsichtigkeit wird aufsteigend unmerklich in die frontale Ansicht überführt, wodurch eine überstarke Nähe des Motivs und bildhafter Abstand in Spannung geraten. Aus der leisen Unruhe solcher räumlichen Diskontinuität resultiert ein magisches Eigenleben der Dinge, wie wir es aus der Kinderzeit und ihren Märchen kennen, in denen eine traumbeseelte Lebendigkeit stumme Gegenstände zu Handlungsträgern macht. Das Mysterium stillen Austauschs (dem koloristisch das vielstimmige bläuliche Farbecho der Kakteen entspricht) wird verstärkt durch die von zwei Goldlacktrieben eingerahmt erscheinende hellblaue Kanne - womit ein Bildmotiv der Barockzeit von reicher geistlicher Symbolik unvermutet zu neuer Anwendung kommt. Es handelt sich um ein profaniertes Kartuschenmotiv, wie wir es von vielen der frommen Andacht dienenden Blumenstücken flämischer Maler kennen, deren Blütenkränze etwa ein Bild der Muttergottes mit dem Kind, den Abendmahlskelch mit der konsekrierten Hostie im Strahlenkranz oder ein gefülltes Weinglas mit Zitrone unter Bezugnahme auf die innere Zugehörigkeit des Neuen und Alten Bundes umschließen. Solche Bezüge sind im Bild nicht mehr direkt ikonographisch, nur noch mittelbar ikonisch präsent; sie gehören zur Latenz des Bildsinns, ohne ihn zu definieren.
Im Kunstmuseum der Thüringer Landeshauptstadt erscheint dieses Hauptwerk Otto Schöns auch lokalspezifisch pointiert - als förmliches Inbegriffbild der "Gartenstadt Erfurt" mit Entente florale, Erfurter Kakteenzucht, Deutschem Gartenbaumuseum, Egapark und künftig auch Buga.
Im November 2013 erwarb die Ernst von Siemens Kunststiftung das Gemälde und stellte es dem Angermuseum Erfurt als unbefristete Dauerleihgabe zur Verfügung.