Wichtiger Schritt auf dem Weg zum Welterbe-Übergabe des Erfurter Antrags auf Aufnahme in die deutsche Tentativliste

17.07.2012 13:17

Am Dienstag, den 17. Juli 2012 übergab Ingo Mlejnek, Beigeordneter für Bau und Verkehr, in Vertretung von Oberbürgermeister Andreas Bausewein um 12 Uhr den Antrag auf Aufnahme in die deutsche Vorschlagsliste für das Unesco-Welterbe an Herrn Christoph Matschie, Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur.

Ort war die Alte Synagoge, der Kern der Bewerbung um den Titel "Unesco-Welterbe". Der erste Schritt auf dem Weg zum Titel ist die Aufnahme in die deutsche Tentativliste. Auf dieser Liste sind zukünftige Welterbestätten aufgeführt, mit denen sich Deutschland in den kommenden Jahren bei der Unesco bewirbt. Die Liste wird in Deutschland von der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) geführt. 
Bis zum 1. August 2012 können alle Bundesländer ihre Vorschläge einreichen. Bereits zur Eröffnung der mittelalterlichen Mikwe im September 2011 hatte Minister Matschie offiziell bekannt gegeben, dass der Freistaat Thüringen die Stadt Erfurt mit ihrem mittelalterlich-jüdischen Erbe ins Rennen schickt. 
In Erfurt hat sich mit der Alten Synagoge, der Mikwe, dem Steinernen Haus und außergewöhnlichen Sachzeugnissen wie Grabsteinen, Handschriften und dem berühmten Erfurter Schatz, ein Ensemble an originalen Zeugnissen der jüdischen Gemeinde aus der Zeit zwischen dem ausgehenden 11. und der Mitte des 14. Jahrhunderts erhalten, das weltweit einmalig ist. 

Ab dem kommenden Jahr werden die bei der KMK eingegangenen Vorschläge von einer Expertengruppe geprüft, 2014 sollen die Zusammensetzung und die Reihenfolge der neuen Tentativliste feststehen.

Hintergrundinformationen: 
In Erfurt haben sich zahlreiche Zeugnisse des mittelalterlichen jüdischen Lebens erhalten. Dabei handelt es sich um die Alte Synagoge, eine der ältesten, größten und am besten erhaltenen mittelalterlichen Synagogen, die zugehörige Mikwe und einen Profanbau. Gemeinsam mit einer Reihe einzigartiger Sachzeugnisse geben diese Bauwerke Aufschluss über das jüdische Gemeinde- und Alltagsleben sowie die Koexistenz von Juden und Christen in mittelalterlichen Städten – in einer Komplexität, die mit keiner bekannten Stätte vergleichbar ist. 
Der Baubeginn der Alten Synagoge datiert um 1094. Sie ist die am besten erhaltene Synagoge Mitteleuropas dieser frühen Zeit. Mit der Eröffnung der Dauerausstellung im Oktober 2009 hat sie eine würdige Neunutzung gefunden.
In der Ausstellung werden weltweit einzigartige Funde und Erkenntnisse gezeigt, die die Geschichte des Gebäudes und der bedeutenden jüdischen Gemeinde von Erfurt dokumentieren. Neben dem Bauwerk selbst als wichtigstem Exponat sind hier mittelalterliche Handschriften aus dem Besitz der Gemeinde (heute Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz) sowie der Erfurter Schatz zu sehen, der einem jüdischen Besitzer zuzuordnen ist und einmalige Goldschmiedearbeiten aus dem 13. und 14. Jahrhundert enthält; bekanntestes Stück der Ausstellung ist der jüdische Hochzeitsring.

Die Erfurter Mikwe des 13. Jahrhunderts kann aufgrund ihrer Größe und baulichen Qualität ebenso als Monumentalmikwe angesprochen werden wie die bekannten Schachtmikwen, die sich beispielsweise in Köln, Speyer, Worms und Friedberg erhalten haben. Im Gegensatz zu diesen repräsentiert sie jedoch einen gänzlich anderen und bislang einzigartigen Typus eines mittelalterlichen jüdischen Ritualbads.  

Das "Steinerne Haus", seit dem ausgehenden 13. Jh. nachweislich in jüdischem Besitz, ist ein Bau, der wohl zu den bedeutendsten Zeugnissen profaner spätmittel­alterlicher Wohnräume in deutschen Städten zählen dürfte und sich nahezu unverändert erhalten hat. 
In Erfurt lässt sich exemplarisch die frühe Blütezeit mitteleuropäischer jüdischer Kultur nachvollziehen, bevor diese durch die Zäsur der "Pestpogrome" Mitte des 14.   Jahrhunderts jäh beendet wurde. Aus diesem Grund wird seit 2009 in enger Zusammenarbeit mit dem Freistaat Thüringen an der Beantragung des Welterbetitels für dieses einzigartige städtische Erbe gearbeitet.  

Der Freistaat hat bereits frühzeitig zugestimmt, das auf der Welterbeliste der Unesco(Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation) bisher unterrepräsentierte jüdische Erbe zur Beantragung zu bringen.
Einen Antrag auf Aufnahme in die Welterbeliste können nur Mitgliedsstaaten der Unesco stellen. Pro Jahr darf ein Staat maximal je ein Kultur- und ein Naturerbe zur Aufnahme anmelden. Da die Beantragung des Welterbetitels besonders in Europa sehr populär ist, werden Staaten von der Unesco angehalten, Listen mit Welterbestätten im Wartestand zu führen, die über einen Zeitraum von mehreren Jahren abgearbeitet werden (so genannte Tentativlisten).
In Deutschland führt die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) diese Liste. Die sechzehn Bundesländer stimmen so untereinander ab, welche Welterbestätte in welchem Jahr ihren Antrag bei der Unesco einreichen darf. 
2012 kommt Erfurt dem Ziel des Welterbetitels einen großen Schritt näher: Die deutsche Tentativliste wird fortgeschrieben. Stichtag hierfür ist der 1. August   – bis zu diesem Datum können alle 16 Bundesländer neue Vorschläge für das Welterbe einreichen. In der KMK werden alle Vorschläge diskutiert und schlussendlich in eine Reihenfolge gebracht, die darüber entscheidet, in welchem Jahr ein Antrag bei der Unesco eingereicht werden darf. Dazu wird die KMK auch die Meinung von internationalen Experten einholen, die die Vorschläge auf ihre Welterbewürdigkeit untersuchen werden.

Kern einer Welterbe-Bewerbung ist der "Außergewöhnliche universelle Wert" (Outstanding Universal Value, OUV), die Begründung, weshalb eine Stätte von so großem historischen Wert ist, dass sie – laut der Welterbekonvention – "als Bestandteil des Welterbes der ganzen Menschheit   erhalten werden müssen". Auch der Nachweis von Authentizität und Integrität, also der Unversehrtheit und historischen Echtheit, spielt bei der Verleihung des Welterbetitels eine wichtige Rolle. Dies ist das große Plus von Erfurt: Nirgendwo sonst haben sich so viele originale Zeugnisse einer einzelnen jüdischen Gemeinde des Mittelalters erhalten. Insofern blickt die Thüringer Landeshauptstadt mit Spannung, aber auch Gelassenheit auf den vor ihr liegenden Weg zum Welterbe.