"Altera Roma – Erfurt und das geistliche Zentrum der Christenheit im Spätmittelalter"
Deutschland bereitet sich mit einer ganzen "Luther-Dekade" auf das 500jährige Jubiläum der Reformation vor, deren Beginn man gemeinhin mit der Veröffentlichung von Luthers 95 Ablassthesen ansetzt. Für das Archiv der Stadt Erfurt ist es daher ein wichtiges Anliegen, sich mit den ihm eigenen Möglichkeiten am Luther-Gedenken zu beteiligen, ist doch die Landeshauptstadt neben Wittenberg und Eisleben eine der drei hervorragenden Luther-Städte überhaupt. 500 Jahre sind vergangen, seit der Augustinermönch Martin Luther in Angelegenheiten seines Ordens längere Zeit in Rom, der Stadt des Papstes, dem geistlichen Zentrum der abendländischen Christenheit, verbracht hat. So liegt es nahe, einmal unter verschiedenen Gesichtspunkten darzustellen, wie sich der Einfluss des geistlichen Zentrums Rom auf Erfurt – wo Luther, von einer kurzen Unterbrechung 1508/09 abgesehen, von 1501 bis 1511 gelebt hat – in den Jahrzehnten vor der Reformation ausgewirkt hat.
In einem Brief von Justus Jonas (1493–1555), einem der engsten Mitarbeiter Luthers, an Johannes Lang, den Reformator der Stadt Erfurt, vom 15. Dezember 1545 nennt der Schreiber das Erfurt der Zeit vor dem Einwirken von Luthers Reformation "alteram Romam" , ein zweites Rom. So hätten die Curtisani, die sich am päpstlichen Hofe zu Rom aufhaltenden Kleriker, die Stadt bezeichnet. Die Veranlassung zu dem Bild ist bei Justus Jonas letztlich die starke kirchlich-geistliche Formung der Stadt Erfurt.
Die kirchliche Prägung Erfurts war um 1500 augenfällig. Das Stadtgebiet war in 25 Pfarreien eingeteilt. Zwei der vier thüringischen Archidiakone hatten ihren Sitz in Erfurt. Vier Männerstifte, ein Frauenstift, sieben Männerklöster, drei Frauenklöster vertieften die geistliche Prägung der Stadt. Erfurt war Sitz eines Generalgerichts des Erzbischofs von Mainz sowie eines Weihbischofs. 300 Altarstiftungen waren in der Stadt errichtet. Kirchtürme bestimmten das Stadtbild. Da lag es nahe, sich an Rom, die Stadt des Papstes, der Kurie, der Orden und zahlreicher Kirchen erinnert zu fühlen.
Aber war Erfurt nun tatsächlich eine "altera Roma"? Wie gestaltet waren die personellen Beziehungen zwischen der römischen Kurie, dem Hof und der Verwaltung des Papstes, und Erfurt? Gelangten Erfurter in Rom in wichtige Positionen, wurden umgekehrt römische Kuriale ( Angehörige der römischen Kurie) in Erfurt mit Pfründen versorgt? War Rom das Ziel von Wallfahrern aus Erfurt? Welche Rolle spielte das Gnadenmittel des Ablasses, das später Auslöser von Luthers Kritik an Rom werden sollte, im religiösen Leben auch der Erfurter? Erschienen päpstliche Gesandte, Legaten, im spätmittelalterlichen Erfurt, und wie lauteten ihre Aufträge? Wie wirkten sich Anordnungen des Papstes im Leben des einzelnen Geistlichen, des einzelnen Gläubigen aus? Gab es besondere Beziehungen zwischen dem Papsttum und dem Erfurter Rat, der Erfurter Universität?
All diese Fragen liegen der Ausstellung zugrunde. Sie versucht, in den Kapiteln
Erfurter an der römischen Kurie, Kuriale in Erfurt
Erfurter auf geistlicher und weltlicher Wallfahrt nach Rom
Der Ablass im Leben der Erfurter
Legaten, Visitatoren und Prediger
Rom und das religiöse Leben von Klerikern und Laien
Der Papst und die Erfurter Universität und
Der Papst und der Erfurter Rat.
die Beziehungen zwischen dem päpstlichen Rom und Erfurt mittels Archivalien (Urkunden) aus dem Stadtarchiv und dem Bistumsarchiv Erfurt darzustellen.
Dass Reformen in der Kirche überfällig seien, davon sprach man seit dem 14. Jahrhundert, doch weder dem Konzil von Konstanz (1414–1418) noch dem Basler Konzil (1431–1449) war es gelungen, den offenbaren Übelständen abzuhelfen. Das aus dem Kampf mit dem Konzil von Basel siegreich hervorgegangene Papsttum vermochte in der Forderung nach Reform der Kirche an Haupt und Gliedern nur ein Wiederaufleben von Konziliarismus und Episkopalismus sowie nationalkirchliche Bestrebungen zu sehen, und mehr und mehr waren die Inhaber des Stuhls Petri und das ihn umgebende Kollegium der Kardinäle aufgrund ihrer charakterlichen Gestimmtheit gar nicht mehr willens, auch gar nicht mehr in der Lage, Reformen anzustoßen. Erst der Paukenschlag von Luthers Reformation schreckte eine Kirche, in der man länger als hundert Jahre von Reform gesprochen hatte, die Reformen durchzuführen aber nicht in der Lage gewesen war, auf. Und in Rom, an der Kurie und in Italien erfolgte selbst danach das Erwachen mit großer Zeitverzögerung.
In Deutschland wurde die Reformation auf der Grundlage eines aufgestauten "antirömischen Affekts" teilweise auch als nationale Befreiung verstanden. Sie zerriss aber, da sich allein wegen der jahrhundertealten Verbindung mit dem römischen Kaisertum das Reich von Papst und Rom nicht völlig lösen konnte, den Reichskörper in verhängnisvoller Weise für immer in zwei Teile. Die Auseinandersetzungen, die Deutschland bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges – und weit darüber hinaus – erschütterten, erschütterten in einem örtlichen Rahmen auch Erfurt – bis 1648 und weit darüber hinaus.
Zur Ausstellung ist ein 102 Seiten umfassender, reich und farbig bebilderter Katalog erschienen (ISBN 978-3-941020-04-7, Preis 5 Euro). Er führt in die Zeit des Spätmittelalters ein und bietet ausführliche Erläuterungen zu den Exponaten.
Zudem bietet das Stadtarchiv Erfurt folgende Führungen durch die Ausstellung an.
12. Juli 2011 (Dienstag): 17 Uhr
14. Juli 2011 (Donnerstag): 16 Uhr
19. Juli 2011 (Dienstag): 17 Uhr
21. Juli 2011 (Donnerstag): 16 Uhr
26 Juli 2011 (Dienstag): 17 Uhr
28. Juli 2011 (Donnerstag): 16 Uhr.
Weitere Führungstermine werden rechtzeitig bekanntgegeben werden. Die Ausstellung ist montags bis donnerstags von 8 Uhr bis 16 Uhr und freitags von 8 bis 12 Uhr geöffnet. Der Zugang zum Stadtarchiv in der Gotthardtstraße 21 ist durch Bauarbeiten derzeit nur linksseitig aus Richtung Hütergasse kommend bzw. über den Spielplatz möglich.