Nach Beteiligungsprojekt: Fünf neue Baudenkmale in Erfurt
Der 30. Jahrestag der deutsch-deutschen Wiedervereinigung war im Herbst 2020 für die Denkmalbehörde der Stadtverwaltung Erfurt Anlass, neuartige Wege auszuprobieren, um mit der Öffentlichkeit in Austausch zu treten und sie in ihre Arbeit einzubeziehen. Vergleichsweise wenige Beispiele der DDR-Architektur sind bisher in Erfurt als Denkmale eingetragen. Das entspricht zumindest scheinbar dem Stimmungsbild bei den Erfurterinnen und Erfurtern: Anerkannt werden zunehmend zwar die DDR-Kunst im öffentlichen Raum sowie die Gartengestaltung der 1950 und 60er Jahre, wofür das Renau-Wandbild und der Egapark stehen. Doch Gebautes aus den 1960er bis 80er Jahren gilt dagegen als „veraltet“ und weniger als „erhaltungswürdig“.
Nicht zuletzt, weil die DDR zunehmend ein abgeschlossenes Kapitel der deutschen Geschichte ist, muss sich die Behörde aber mit dem Thema des Bauerbes der DDR beschäftigen. Mit der Voting-Ausstellung „Entbehrlich oder erhaltungswürdig?“ im Kulturhof „Zum Güldenen Krönbacken“ vor anderthalb Jahren stellte sie den Erfurter Bürgerinnen und Bürgern die Frage nach dem Für und Wider von insgesamt zehn Bauwerken und Ensembles ihrer Stadt.
Mittels roten und grünen Klebepunkten (je für „entbehrlich“ bzw. „erhaltungswürdig“) konnte im Patrizierhaus „Zum güldenen Krönbacken“ votiert werden. Insgesamt beteiligten sich etwa 250 Besucher. Das bedeutet keine Repräsentativität, wichtig erschien den Veranstaltern aber der Austausch- und Vermittlungseffekt: Die emotionale Nähe zur oftmals selbst erlebten Zeit und das mit dem Thema verbundene Streitpotential waren besonders geeignet, um mit Bürgerinnen und Bürgern zu Fragen von Denkmalpflege und Denkmalschutz ins Gespräch zu kommen. Zudem bot das Klebepunkte-Setzen den Teilnehmenden die Gelegenheit zu reflektieren, was für sie Erhaltungswürdigkeit – und vielleicht auch Denkmalwürdigkeit – überhaupt ausmacht. Viele nutzten die Möglichkeit auf Klebezetteln ihre Abstimmung zu begründen und offenbarten dabei häufig Wertevorstellungen, die auch für Denkmalpfleger und Denkmalschützer den Kompass ihres Handelns darstellen.
Dass sich bei den Abstimmungsergebnissen klare Mehrheit bei allen zehn Objekte für die Erhaltung zeigten, mag mit der besonders am Thema interessierten Besucher- und Teilnehmerschaft zusammenhängen, ist vielleicht aber auch auf einem allgemein entspannteren und wohlwollenderen Blick auf Lebensleistungen in der DDR-Zeit und auf die Neuenddeckung durch jüngere, nicht dabei gewesene Menschen, zurückführen.
Ein schöner Effekt des Modellprojektes war, dass die anschließende Überprüfung durch die Denkmalbehörden im letzten Jahr zur Eintragung von fünf der zehn Gebäude und Ensembles in die Denkmalliste führte: Der Trauerhallenkomplex des Hauptfriedhofes, der ehemalige Kindergarten im Paulinzeller Weg, das Wohn- und Geschäftshaus Bahnhofstraße 11/13, die sogenannte Altstadtplatte am Johannesturm sowie der Teil der Auenstraße mit der verkehrsberuhigten Grünzone werden nun dauerhaft als Denkmale bewahrt.
Modernisierungsgebiet Auenstraße, Auenstraße 14 – 23 und 61 – 72 sowie Albrechtstraße 67
Baulich-städtebauliche Modernisierung: Büro des Stadtarchitekten (Nitsch, Schulrabe, Lindner, Götze u. a.), 1975-1979
Freiraumgestaltung und Verkehrsplanung: Büro für Verkehrsplanung und Gartenamt (Saitz, Härschel u. a.), 2. Hälfte der 1980er Jahre
1972 begann die großflächige Modernisierung und Sanierung des gründerzeitlichen Stadtbereiches um die Auenstraße, 1975 die Baumaßnahmen in der Auenstraße selbst. Dringend nötiger Wohnraum sollte erhalten und für zeitgenössische Anforderungen modernisiert werden – u. a. wurde die sanitäre Ausstattung und die Innenhofnutzung verbessert. Das fiel zeitlich in die beginnende Wiederentdeckung der historistischen Architektur, welche man respektvoll, wenn auch noch nicht mit denkmalpflegerischen Ansprüchen, sanierte. Im Abschnitt zwischen Albrecht- und Waldemarstraße wurde seit Mitte der 1980er Jahre modellhaft ein verkehrsberuhigter „Fußgängerraum“ realisiert. Erstmalig wurde auch ein Bürgerbeteiligungsverfahren im Vorfeld der Maßnahme durchgeführt.
Das Besondere, ja Einzigartige, dieses neuen Denkmalensembles ist die beispielhafte Art, wie in den 1970er und 80er Jahren in der DDR mit einem gründerzeitlichen Straßenzug umgegangen wurde.
Trauerhallenkomplex des Hauptfriedhofs, errichtet 1973 – 76
Architekt: Janos Szabo (Ungarisches Ministerium für Bauwesen, Entwurfsbüro Debrecen)
Metallgestaltung: Günter Reichert
„Gestaltetes Abschiednehmen“: Die zwei versetzt angeordneten Baukörper beherbergen Feierhallen, deren Form an Amphitheater erinnert, unter kontrastreicher Verwendung edler Materialien wie schwarzem Granit, Edelstahl und Kupfer.
Kindergarten und -krippengebäude, Paulinzeller Weg, errichtet 1966/67
Architekt: Volker Possardt (Hochbauprojektierung Erfurt)
Wandbild: Helmut Steindorf
Lichtdurchflutete Flachbaukörper und kindgerechte Gestaltung: Alle Gruppenräume sind direkt mit großzügigen Grün- und Spielanlagen verbunden. Es gibt keine Treppen, aber eine bildkünstlerische Ausgestaltung.
Wohn- und Geschäftshaus Bahnhofstraße 11/13, errichtet 1956
Architekt: Peter Düwel (Entwurfsbüro für Hochbau des Rates des Bezirkes Erfurt)
Lückenschließung im Zusammenhang mit dem Einbau des Arkadenganges an der Ostseite der Geschäftsstraße / Rasterfassade im International Style der 1950er Jahre mit Keramikmosaiken in gelb, rot und blau.
Funktionsmusterbau am Johannesturm in der Johannesstraße 133 – 141, errichtet 1983 – 85
Architekten: Burkhart Ihlenfeldt, Michael Hardt, E. Nitsch, Ulrich Kraft (Wohnungsbaukombinat Erfurt, Betriebsteil Projektierung), Joachim Stahr u. a.
Erste Erprobung der Wohnungsbaureihe 85, die das Ziel einer differenzierteren architektonischen und städtebaulichen Gestaltung trotz industrieller Herstellung verfolgte. Gleichzeitig war dies der Auftakt zur Umgestaltung des nördlichen Innenstadtbereiches in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre (Am Hügel, Huttenplatz).