Nachruf auf Christian Paschold (1949 – 2021)
„Erfurt hat ihm viel zu danken“, weiß Oberbürgermeister Andreas Bausewein, „sein Wirken ist hier nicht zu übersehen.“ Bismarck, Luther, Bonifatius … Die monumentalen Bronzestandbilder des gelernten Theaterplastikers Christian Paschold akzentuieren, weit überlebensgroß, das Erfurter Stadtbild – und zwar an so prominenter Stelle wie dem Erfurter Anger oder dem Rathaus am Fischmarkt. Paschold stellt in diesen als Auftragswerke entstandenen Arbeiten historische Größen und allegorische Giebelfiguren in ein Traditionskontinuum. Sie ersetzen mit Überzeugung vormals Demoliertes und Verlorenes, bestreiten nicht die Ästhetik und Semantik der Fassaden, deren neuer Schmuck sein zu dürfen ihre Entstehung veranlasst hat.
Paschold liebt die commedia dell‘ arte, auch das Welttheater, er respektiert die Gesetze und das Maß der Bühne, der seine Arbeit dient. Und er liebt Erfurt. So sieht es auch der Kulturdezernent: „Vorzugsweise wilhelminische Bildhauer gehören sichtlich zu Pascholds Gewährsmännern – man denke nur an Fritz Schapers Lutherdenkmal neben der Kaufmannskirche, Heinz Hoffmeisters Alten Angerbrunnen, an Karl Janssens und Karl Harzers Bronzestandbilder im Rathausfestsaal. Nicht aber Hans Walther, der Schöpfer der Fassadenreliefs der Sparkassen am Fischmarkt und am Anger, oder Waldo Dörsch, der den Neuen Angerbrunnen gestaltet hat. Das ist nicht ohne Ironie“, erläutert Dr. Tobias J. Knoblich und ergänzt: „Erfurt verfügt über einen ungewöhnlich facettenreichen, plastischen Stadtraum. Paschold hat ihn bleibend bereichert.“
Zu DDR-Zeiten modelliert Paschold den Kopf von Karl Liebknecht für das Erfurter Wohnungsbaukombinat, seine Bronzebüste „Che Guevara“ (1986) gehört dem Museo de la Revolución, Havanna. Er wird zu Fidel Castros Geburtstag eingeladen, das Museum der Revolution ehrt ihn mit einer Ausstellung (1997), für die Universität Havanna gestaltet er die Büste des weltreisenden Naturforschers Alexander von Humboldt. Weit in der Welt herumgekommen ist aber auch Paschold selbst. Sein Itinerarium ist eindrucksvoll: Kuba, Brasilien, Nigeria, Marokko, er bereist früh die Sowjetunion, später Weißrussland, Bulgarien und Griechenland, Polen und die Slowakei, Frankreich, Portugal, Italien…
Begonnen hat Christian Pascholds Werdegang mit der Ausbildung zum Porzellanmodelleur in Gräfenthal, was er später mit bärbeißigem Spott, den seine Freunde gut an ihm kennen, so kommentiert: „Da habe ich gelernt, Kitsch zu produzieren.“ 1968 bis 1971 erfolgt die Ausbildung zum Theaterplastiker an der Hochschule der Bildenden Künste in Dresden („der Weiber und des Saufens wegen“). Es sind die formativen Jahre, die den Grund legen fürs Kommende. Anschließend arbeitet Paschold als Theaterplastiker an den Städtischen Bühnen Erfurt und am Deutschen Nationaltheater Weimar, seit 1980 freiberuflich. Auch das gelingt. „Ich habe keine Lust zu lügen und zu sagen, dass ich vor der Wende verfolgt war.“
Nach der politischen Wende erwirbt Paschold in Tiefthal, vor den Toren von Erfurt, ein Anwesen, das er mit Phantasie ausbaut zur „Casa di artista“: sein Atelier- und Künstlerhaus. Es ist offen für jeden, der kommen mag. Das gilt auch für die ein- und ausfliegenden Schwalben, die in der Künstlerwohnung Bleiberecht haben und (ihre verlässliche Wiederkehr zeigt es) offenbar genießen. Dass die Welt nur sieht, wer sie im Zusammenhang wahrnimmt, eben als Weltzusammenhang, beschäftigt ihn, der ohne viel Federlesens alle Menschen duzt, mental und vital gleichermaßen. Der knurrig-liebenswürdige alte Mann verkörpert selbst etwas von der Nestwärme des thüringischen Fleckchens Erde, von dem er immer wieder ausgeflogen ist, um verlässlich zurückzukommen. Genau wie seine ungezähmten Schwalben.
„Man kann seine Vergangenheit nicht einfach wegstreichen, wir sind und bleiben Ossis.“ Der von Paschold in die politische Diskussion geworfene Satz ist nicht aufs Politische beschränkt zu denken; er artikuliert mehr und anderes, nämlich ein Lebensgefühl und das tief mit ihm verbundene Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Die ihn kennen, berichten mit Sympathie von einer zunächst kaum vermutbaren, empfindlichen Wachheit unter der sprichwörtlich „rauen Schale“, die gelegentlich austeilt und aneckt, aber auch manchen Knuff verträgt. Und im Dorf kennen sich nun mal alle. Einer Tiefthalerin, nach Paschold befragt, ist er sofort präsent: „Christian hatte ein großes Gerechtigkeitsgefühl. Es ging immer um Freiheit, revolutionäre Ideale. Er redete niemand nach dem Mund, war ein Ästhet, liebte die Frauen, schönes Essen und überhaupt alles Schöne …“. Auch das „Kunstfest Tiefthal“ war durch viele Jahre ohne Christian Paschold, das Urgestein, nicht vorstellbar.
Am 2. Juni 2021 ist der Erfurter Künstler nach schwerer Krankheit mit 72 Jahren verstorben. Die Landeshauptstadt Erfurt bewahrt sein Andenken und ist ihm zu Dank für sein Wirken verpflichtet.