Artikelreihe zum Stadtumbau - Nr. 4
Im letzten Beitrag haben wir über die bisherige und künftige Entwicklung der Einwohner und Haushalte in Erfurt berichtet. Für den Stadtumbau ist besonders interessant, wie sich das auf die verschiedenen Arten von Stadtgebieten ("Siedlungstypen") auswirken wird. Werden alle Stadtteile in gleichem Umfang von Einwohnerrückgängen betroffen sein?
Wie in allen größeren Städten der neuen Bundesländer hat auch in Erfurt der Geschosswohnungsbau (Etagenwohnungen in größeren Wohngebäuden) einen besonders hohen Anteil an den Wohnungen insgesamt. Dafür gibt es mehrere Gründe: Vor der Wende konnten die vorhandenen Altbauwohnungen zunehmend nicht mehr instandgehalten oder gar saniert werden. Sie verfielen und waren immer weniger bewohnbar. Gleichzeitig musste unbedingt neuer Wohnraum für die Bevölkerung geschaffen werden: Es entstanden die Großsiedlungen in industrieller Bauweise am Stadtrand. Vereinfacht gesagt wurde für jede verfallende Altbauwohnung woanders eine Ersatzwohnung gebaut. Die Baupolitik und Versorgungslage vor der Wende ermöglichte zudem nur wenigen Menschen den Bau eines Eigenheimes.
Nach der Wende konnten viele Menschen endlich den Traum vom eigenen Haus verwirklichen. Gleichzeitig konnten in letzter Minute die verfallenen Innenstädte saniert werden, wodurch sich die Lebensqualität in unserer Stadt in kürzester Zeit unglaublich verbessert hat. Dadurch sind aber auch massenweise neue Mietwohnungen entstanden, während der Bedarf danach bereits zurückging. Die für die Zukunft prognostizierten Einwohnerrückgänge werden sich deshalb fast ausschließlich im Geschosswohnungsbau auswirken. Denn wer nur mit seiner Familie sein eigenes Haus bewohnt, der zieht nicht ohne weiteres um.
Die Stadtteile sind also mit ganz verschiedenen Ausgangsbedingungen in die Leerstandsproblematik eingetreten: Die Großsiedlungen waren noch Mitte der 90-er Jahre annähernd voll vermietet und haben seitdem ständig Einwohner verloren. Die übrigen innerstädtischen Stadtgebiete wiesen schon um 1990 teils hohe Leerstände auf, weil viele Häuser unbewohnbar waren. Diese Gebiete haben durch Sanierung - und oft unterstützt durch Maßnahmen der Stadterneuerung - seit 1999 wieder in erheblichem Umfang Einwohner hinzugewonnen.
Die Entwicklung der Haushalte wird auch weiterhin in den einzelnen Siedlungstypen bis 2020 sehr unterschiedlich ablaufen. Die Großsiedlungen werden weiter überdurchschnittlich viel an Einwohnern und damit an Haushalten verlieren. Bis zum Jahr 2020 ist hier ein Rückgang um nochmals 9000 Haushalte zu erwarten. Gemessen an 1994 entspricht das einem Einwohnerrückgang um etwa 45 Prozent.
Gleichzeitig wird für die städtischen Gebiete (Altstadt und andere Innenstadtgebiete) in den nächsten fünf Jahren mit einem weiteren Zuwachs von 4000 Haushalten gerechnet. Danach wird die Zahl der Haushalte hier bis 2020 nahezu unverändert bleiben. In den dörflichen Stadtteilen zeichnet sich für die Zeit nach 2010 ein allmählicher Einwohnerrückgang ab, der hauptsächlich daraus folgt, dass die erwachsen gewordenen Kinder die Haushalte der Eltern verlassen.
Interessant sind auch die Wanderungsbewegungen zwischen den Siedlungstypen: Nach 1996 hatten die Großsiedlungen noch starke Fortzüge sowohl in Gebiete innerhalb der Stadt als auch über die Stadtgrenze hinweg zu verzeichnen. Inzwischen hat sich die Bilanz der Umzüge zwischen den Siedlungstypen deutlich beruhigt. Die Zuzüge von außerhalb der Stadt gehen jedoch weitgehend nur noch in die innerstädtischen Gebiete. Die Zuziehenden sind vorwiegend jüngere Erwachsene, die vielleicht die urbane, lebendige Vielfalt der Innenstadt den Wohnlagen in den Großsiedlungen am Stadtrand vorziehen.
Der nächste Artikel wird sich nochmals vertieft mit dem Sonderfall der Großsiedlungen beschäftigen: Warum ist hier beim Stadtumbau so vieles anders als in anderen Stadtvierteln, warum gibt es nur hier einen Masterplan?