Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben „Innerstädtische Bahntrassen – vernetzte Lebensräume für Pflanze, Mensch und Tier“
Artenschutz, Erholung und Bildung zusammendenken
Umgestaltung der Györer Straße im Norden Erfurts
Im Rahmen des Erprobungs- und Entwicklungsvorhabens (E+E) „Innerstädtische Bahntrassen – vernetzte Lebensräume für Pflanze, Mensch und Tier“ wird für das WS 2024/25 der studentische Ideenwettbewerb ausgelobt. Die Umgestaltung der ehemaligen Eisenbahnhaltestelle an der Györer Straße soll Artenschutz und menschliche Nutzung inklusive Bildung zusammenführen. Neben naturschutz- und bildungsfachlichen Aspekten gilt es Ideen der Anwohnerinnen und Anwohner in die Entwürfe aufzunehmen.
Der Wettbewerb besteht aus zwei Teilen, dem planerischen Entwurf und einem pädagogischen Konzept für den Umweltbildungsteil. Beide Teile sollen zusammenpassen. Somit ist es erforderlich, das Studierende aus der Planungsrichtung mit Studierenden aus dem pädagogischen Bereich zusammenarbeiten. Wir, das E+E Team, stellen gerne den Kontakt zwischen den beiden Disziplinen her. Gerne können Sie sich bereits im Vorfeld Partner/Partnerinnen aus der jeweilig anderen Disziplin suchen.
Preise/Prämierung
- Preis 750 Euro
- Preis 500 Euro
- Preis 300 Euro
Teilnahmeberechtigte
Teilnahmeberechtigt sich alle Studierenden der Disziplinen: Stadtplanung, Landschaftsplanung, Pädagogik, Naturwissenschaften, Sozialwissenschaft, Architektur und Kunst deutscher Hochschulen.
Den vollständigen Ausschreibungstext finden Sie hier.
Anmeldung zum Ideenwettbewerb
Umwelt- und Naturschutzamt
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Im Rahmen des Vorhabens ist die Umgestaltung der ehemaligen Eisenbahnhaltestelle an der Györer Straße geplant. Bis zum 10. März 2024 konnten sich alle interessierten Erfurterinnen und Erfurter, insbesondere Anwohnerinnen und Anwohner, online beteiligen.
Weitere Informationen sind in der Pressemitteilung "Befragung zu Naherholung und Artenschutz in der Györer Straße" vom 29. Januar 2024 nachzulesen oder im folgenden Video (Zum Anschauen hier klicken.) zu sehen.
Die Vernetzung von Biotopen, also Lebensräumen von Pflanzen, Tieren und anderen Organismen, leistet einen essenziellen Beitrag zur Erhaltung der biologischen Vielfalt. Schienen- und bahnbegleitende Flächen können hierbei als Trittsteine oder Korridore fungieren. In dem durch das Bundesamt für Naturschutz geförderten Projekt wird das Umwelt- und Naturschutzamt Erfurt in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn erproben, wie innerstädtische Bahntrassen als Biotopverbundelemente genutzt werden können und wie eine Mehrfachnutzung der Flächen gelingen kann, die ökologische und soziale Anforderungen erfüllt.
Gefördert durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV).
Die Grundlage für das Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben „Innerstädtische Bahntrassen – vernetzte Lebensräume für Pflanze, Mensch und Tier“ ist es, Stadterneuerung ökologisch zu denken. Daraus leitet sich das Ziel ab, urbane Räume naturschutzgerecht zu entwickeln. Dafür soll in diesem Modellprojekt ein Biotopverbund erprobt und realisiert werden, denn die Vernetzung von Biotopen, also Lebensräumen von Pflanzen, Tieren und anderen Organismen, leistet einen essenziellen Beitrag zur Erhaltung der biologischen Vielfalt. Dadurch können zum Beispiel Wanderungen und Wiederbesiedelungen vereinfacht werden und Austausch zwischen Populationen stattfinden, was die Barrierewirkung einer Stadt verringert. Für diesen Biotopverbund im Siedlungsraum von Erfurt sollen die Begleitflächen des Schienenverkehrs und daran angrenzende Flächen genutzt werden, auch solche, die nicht mehr dem Bahnzwecke dienen. Diese Konversionsflächen und die Bahntrassen-Begleitflächen stellen großräumige, lineare Verbindungen mit Korridorwirkung dar und bieten daher ein großes Potenzial für die Grünflächenvernetzung zu einem Biotopverbund.
Das Erfurter Stadtgebiet wird von derzeit 49 Kilometer aktiv genutzten als auch 13 Kilometer stillgelegten Bahntrassen durchkreuzt, die das Stadtbild strukturell prägen. Damit ist eine hervorragende Voraussetzung für innerstädtische Biotopverbundachsen gegeben.
Rechtliche Grundlage
Gleichzeitig besteht der Anspruch, Frei-Flächen zu multifunktionalen Grün- und Freiräumen zu entwickeln, die parallel soziale, ökologische, ökonomische und technische Funktionen erfüllen. Die Entwicklung von Freiräumen zu Natur-Rückzugsflächen und ihre Nutzung für Naturerleben führt einerseits zu einer besseren städtebaulichen und sozialen Qualität und dient andererseits der Erreichung der Ziele des Bundesnaturschutzgesetzes. In diesem ist festgelegt, dass Freiräume im besiedelten und siedlungsnahen Bereich, einschließlich der Grünzüge und Naturerfahrungsräume, zu erhalten sind und dort, wo sie nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind, neu geschaffen werden sollen (vgl. BNatSchG §1 Abs. 6).
Im Rahmen des Erprobungs- und Entwicklungsvorhabens in Erfurt soll beispielhaft die Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie und der Ziele des Bundesnaturschutzgesetzes in urbanen Landschaften unter der Einhaltung der weiteren Ziele der Mehrfachfunktionalität, in der Voruntersuchung vorbereitet und in einem anschließenden Hauptvorhaben erprobt werden.
Im Rahmen des E+E-Vorhabens wird konkret an folgenden Zielen gearbeitet
- Erhaltung, Wiederherstellung und Vernetzung wertvoller Biotope (insbesondere offener Trockenlebensräume) im urbanen Raum sowie die Anbindung dieser an das Umland
- Umsetzung der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt im Bereich der Bahntrassen
- Entwicklung und Pflege von Lebensräumen hochgradig gefährdeter Tier- und Pflanzenarten im Bereich der Bahntrassen
- Erfassung, Nutzung und Optimierung vorhandener Infrastrukturelemente (z. B. Gebäude, Leitungsmasten, Regenrückhaltebecken) als Niststätten für gefährdete Tierarten
- Aktivierung städtischer Konversions- und Brachflächen als erlebbare Freiräume
- Schaffung von Angeboten zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (z. B. „Wildnis-Erlebnisfläche Brachfläche“)
- Erprobung von Kooperationsmöglichkeiten mit der Bahn zum naturschutzgerechten Management bahnbegleitender Flächen im städtischen Bereich
- Erprobung der Erkenntnisse und Ansätze zum Umgang mit innerstädtischen Bahnbrachen und aktiven Bahnstrecken unter naturschutzfachlichen Gesichtspunkten
Mithilfe der gewonnenen Daten und Erkenntnisse soll eine Handlungsempfehlung zur Entwicklung und Pflege von multicodierten Biotopflächen entlang von Bahntrassen und die Verknüpfung von geeigneten Teilflächen im urbanen Raum erarbeitet werden, die deutschlandweit angewendet werden kann.
Das Zusammenspiel von Bahnbetrieb und Naturschutz birgt oftmals Konfliktpotential, da Akteure mit unterschiedlichen Interessenshintergründen, wie etwa Wirtschaft, Verkehrssicherung und Naturschutz aufeinandertreffen, deren Ziele abgewogen werden müssen.
Im Rahmen des Projekts sollen die Möglichkeiten des Zusammenarbeitens von DB und Kommunen auf den Gebieten Bahnbetrieb, Naturschutz und stadträumlicher Entwicklung erprobt werden. Natürliche Entwicklungsprozesse an den Bahntrassen, wie zum Beispiel fortschreitende Sukzessionsstadien, können demnach durchaus als beeinflussbarer Prozess positiv verstanden werden. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, den scheinbaren Gegensatz von sicherem Bahnbetrieb und Naturschutz zu verknüpfen. Gleichzeitig soll das Potenzial von Bahntrassen als Verbindungselement zwischen Umland und städtischen Sekundärbiotopen gehoben werden. Weiterhin stellen diese Flächen, je nach Funktion für den Fahrbetrieb, ein abgestuftes Potenzial für die grüne Infrastruktur im städtischen Umfeld dar.
Die Neuartigkeit des Projektes bezieht sich auf die Verknüpfung der Trassenkorridore für Biotopverbund. Dabei wird zwischen noch genutzten und stillgelegten Verkehrswegen unterschieden.
Idealerweise werden entlang grauer Infrastrukturen die Abstandsflächen oder entwidmeten Flächen zu grünen Infrastrukturen entwickelt und vernetzt. Hier können vernetzte innerstädtische Lebensräume für Pflanze, Mensch und Tier entstehen, wobei Artenvielfalt erhalten bzw. gefördert wird, ohne gleichzeitig die grauen Infrastrukturen in ihrer Funktion einzuschränken.
Die Voruntersuchung des E+E-Vorhabens wird auf 30 Monate projektiert. Für das Hauptvorhaben wird eine Laufzeit von 3,5 Jahren angestrebt. Während des Hauptvorhabens erfolgt eine wissenschaftliche Evaluierung, die nach heutigem Kenntnisstand bis ein Jahr nach Projektabschluss durchgeführt werden soll.
Voruntersuchung
Die Voruntersuchung von Mai 2021 bis Dezember 2023 diente der Vorbereitung des späteren Hauptvorhabens, und schafft dabei die Rahmenbedingungen und Planungsgrundlagen.
Gegenstände der Voruntersuchung:
- Erfassung, Bewertung und Auswahl der für das Projekt zur Verfügung stehenden Flächen entlang von Bahnstrecken im Erfurter Stadtgebiet; dazu gehörte es, der Frage nachzugehen, wo demnächst neue Freiräume entstehen können sowie potenzielle Freiräume hinsichtlich ihrer Eignung im Sinne des Projekts zu untersuchen
- Klärung eigentumsrechtlicher und verfahrensrechtlicher Belange auf Flächen des DB-Konzerns sowie die Klärung der Möglichkeiten/Optionen einer langfristigen Sicherung der Flächen für die Projektziele
- Artenerfassung auf der Grundlage des „100-Arten-Konzeptes“ (hierin sind die 110 Arten enthalten, für die die Stadt Erfurt eine besondere Verantwortung trägt). Im Erfurter Landschaftsplan sind folgende Artengruppen enthalten:
- Herpetofauna (Reptilien, Amphibien)
- Vögel
- Tagfalter
- Heuschrecken
- Laufkäfer
- Hautflügler
- ausgewählte Gefäßpflanzen
- Neophyten, ausgewählte Neozoen
- Biotopkartierungen
- Identifizierung und nähere Bestimmung potenzieller Konflikte und Synergien zwischen Schienenverkehr, Räumen für Naturerleben, Biodiversität und Artenschutz, um darauf aufbauend im Hauptvorhaben ermitteln zu können, ob derartige Konflikte tatsächlich bestehen, wie sie vermieden und wie Synergien genutzt werden können
- Verknüpfung von geeigneten Flächen mit vorhandenen oder zu schaffenden Freianlagen als informellen Planungsansatz
Anhand der Kartierergebnisse, der Verfügbarkeit von Flächen und der Standortqualität erfolgt eine Einschätzung, wo sich Schwerpunkt-Lebensräume entlang von Bahntrassen zur Biotopvernetzung entwickeln lassen. Dabei wird der räumliche Zusammenhang mit bereits realisierten bzw. geplanten Biotopverbundplanungen in der Stadt Erfurt berücksichtigt.
Methoden der Arterfassung
Hauptvorhaben
Nach dem Abschluss der Voruntersuchung im Herbst 2023 erfolgt die Antragstellung für das Hauptvorhaben. Die Ergebnisse der Voruntersuchung, insbesondere die Verfügbarkeit der Bahnflächen, sind die Voraussetzungen für die Durchführung des Hauptvorhabens. Dabei sollen konkrete Maßnahmen innerhalb des festgelegten Projektgebietes unter wissenschaftlicher Begleitung schrittweise umgesetzt werden. Zur Umsetzung gehören unter anderem die Planung, Abstimmung und Realisierung der Maßnahmen entlang von Bahntrassen, einschließlich Erstpflege, Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit.
Im Zuge des Hauptvorhabens soll auch erprobt werden, in welchen Bereichen die Verbindung von Schutz- und Nutzungsaspekten besonders sinnvoll ist. Unter welchen Bedingungen sind Brachflächen im Umfeld von Bahntrassen für die stadtnahe Erholung nutzbar und wo ist es sinnvoll, Biotopvernetzungsmaßnahmen mit Maßnahmen der Umweltbildung zu kombinieren. Hierbei wird die Funktionalität der Flächen für den aktiven Bahnbetrieb einbezogen, die sich auf die potenziellen Nutzungsmöglichkeiten auswirkt. Konversionsflächen und streckenbegleitende Flächen entlang stillgelegter Bahntrassen können denkbar einer multicodierten Nutzung gewidmet werden, wohingegen Schienenbegleitflächen mit Bahnbetrieb eine Nutzung zur Erholungsfunktion ausschließen. Diese Flächen können aber als verbindende Elemente im Zuge des Naturschutzes entwickelt werden.
Der gesamte Prozess, einschließlich fördernder bzw. hemmender Rahmenbedingungen, wird dokumentiert. Weiterhin soll dargestellt werden, wie die geplanten Maßnahmen dazu beitragen können, die gesellschaftliche Akzeptanz für den Naturschutz in einer Großstadt wie Erfurt zu steigern.
Wissenschaftliche Begleitung
Die kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung des E+E-Vorhabens beginnt mit dem Hauptvorhaben und soll Daten zum Projekt liefern und evaluieren. Als Projektpartner steht vor allem das städtische Naturkundemuseum Erfurt zur Verfügung, das bereits in der laufenden Voruntersuchung stark in die Arbeitsprozesse eingebunden ist. Das Naturkundemuseum Erfurt betrachtet die Forschung als eines der wichtigsten Standbeine eines modernen naturwissenschaftlichen Museums und ist in viele entomologische, ornithologische und herpetologische Forschungsprojekte involviert. Zudem sind viele maßgebliche Artenspezialisten in Thüringen mit dem Naturkundemuseum in Erfurt als freie Mitarbeiter eng verbunden.
Nach Abschluss des Hauptvorhabens werden die Ergebnisse als Abschluss der wissenschaftlichen Begleitung mittels eines einjährigen Monitorings überprüft.