Chronik der Volkshochschule Erfurt
23. März 1919
Gründung der „Erfurter Volkshochschule“
Mit dem Ende des Kaiserreichs und der Gründung der Weimarer Republik brach die bis dahin vorherrschende Gesellschaftsordnung sukzessive auf – neue Themen bestimmten den politischen Alltag. Ein Hauptthema war die Bildungspolitik, die bis dato untrennbar mit dem sozialen Status verbunden war. Um diese Untrennbarkeit aufzubrechen, entwickelte sich eine neue Form gemeinsamen Lernens: die Volkshochschule. Folgt man dem Bericht des ersten Geschäftsführers, ist die rasche Gründung auf ein Schlüsselerlebnis im Wirtshaus „Rheinischer Hof“ zurückzuführen. „Mitten in einer hitzigen Debatte des Erfurter Lehrervereins über neue Einheitsschulen stellte ein anwesender älterer Arbeiter dem vortragenden Referenten des Vereins die Frage, was mit denjenigen Personen geschehe, die nicht von den Segnungen der Schule profitieren können. Der Arbeiter brachte damit den Kern des Problems auf den Punkt: Wie sollten Erwachsene an den neuen Bildungsideen teilhaben? Die Antwort darauf war der Entwurf, die Planung und tatsächliche Realisierung der 'Erfurter Volkshochschule' zum 23. März 1919.“1
Der erste Geschäftsführer war der gerade einmal 24-jährige Volksschullehrer Alfred Denner. Er, sein Nachfolger Kurt Otto und der Mittelschullehrer und spätere Schulrat Alfred Benda trugen maßgeblich zur Entwicklung der Volkshochschule bei. Als Sozialdemokraten engagierten sie sich besonders für Arbeiter und in den Zeiten von Inflation und Wirtschaftskrise für arbeitslose Jugendliche.
1919 – 1933
Eine 2-stündige Halbjahresvorlesung kostete zunächst 5,00 Mark, was einem heutigen Wert von 1,30 EUR entspricht. Allerdings war diese Gebühr zu niedrig kalkuliert und wurde bereits nach der ersten Woche der Gründung für das 2. Semester auf 10,00 Mark angehoben. Inhaltlich gibt es einige Parallelen zum heutigen Kursangebot. Neben den s. g. praktischen Kursen, wie z. B. Rechnen, Deutsch, Rhetorik, Gesundheit und Ernährung, Handel, Buchhaltung und technisches Zeichnen, standen die thematische Vermittlung von Geschichte, Philosophie, Religion, Literatur und Zeitgeist im Vordergrund. Auch Sprachen wurden gelehrt.
Anfangs war die Arbeit der Volkshochschule durch wenig Professionalität gekennzeichnet. Um jedoch den Erfolg der „Erfurter Volkshochschule“ zu messen, hatte man bereits in den 20er Jahren die Statistik entdeckt. So wurden nachweislich zunächst 57 allgemeinbildende Kurse angeboten, die von 1082 Hörern besucht wurden. Herausragend waren auch die regelmäßigen „Volkskonzerte“ (später auch Jugendkonzerte) und „samstägliche Abendsprachen“, mit der die Volkshochschule ihre Arbeit als Kulturfaktor in der Stadt untermauerte.
1933 – 1945
Mit dem Nationalsozialismus hatte die Volkshochschule in ihrer ursprünglichen Form keine Daseinsberechtigung mehr. Die veränderten Verhältnisse führten dazu, dass die „Erfurter Volkshochschule“ direkt der Hauptabteilung 2 (Volksbildung) der Reichspropagandaleitung unterstellt und gezwungen wurde, die nationalsozialistische Ideologie in ihr Kursprogramm einfließen zu lassen. Die Zeit der freien Lehre endete damit auch in Erfurt, die Stadt wollte über die Finanzierung Einfluss auf die Gestaltung der Volkshochschule nehmen. Der geschäftsführende Ausschuss war gezwungen, auf die veränderten Verhältnisse zu reagieren und entschied sich, auf die Stadt zuzugehen und formell um die Eingliederung in die Verwaltung zu bitten. Damit war zwar das Fortbestehen der Erfurter Volkshochschule vorerst gesichert, doch konnte eine Übergabe der bisherigen Geschäftsleitung und die Umbenennung der Volkshochschule in Meister-Eckehart-Schule – nach dem mittelalterlichen Mystiker Eckehart – nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Volkshochschule nationalsozialistischem Gedankengut öffnete, was sich bereits im ersten Lehrplan widerspiegelte. Aus Sicht der Stadtverwaltung sollte sie „(…) eine Festung des Nationalsozialismus in geistiger Hinsicht werden.“
Davon, dass die Leitung der Meister-Eckehart-Schule diesen Weg bedingungslos unterstützte, ist rückblickend nicht auszugehen. Zwar übernahm man unter Druck die Symbolik und die Sprache des nationalsozialistischen Systems, versuchte dennoch die Tradition und die freie Lehre zu bewahren. Diese Ambivalenz führte nichtsdestotrotz dazu, dass alt gediente Dozenten aufgrund ihrer politischen Überzeugungen von einer Tätigkeit absahen, teilweise sogar vom Lehrbetrieb ausgeschlossen wurden. Dies schlug sich letztlich auch in den bis zum Ende der 30er Jahre sinkenden Teilnehmendenzahlen nieder. Qualifiziertes Lehrpersonal zeigte kaum noch Interesse an einer Lehrtätigkeit. Nur noch wenige Kurse kamen zustande. Letztlich beendete die Volkshochschule ihre Lehrtätigkeit, als der Krieg seine Schatten voraus warf.
1945 – 1990
Nach dem zweiten Weltkrieg wagte es der ehemalige Schulrat Benda, der bereits 1919 die Gründung der Volkshochschule Erfurt vorangetrieben hatte, ihre Wiedereröffnung in alter Tradition anzustreben.
Ein Magistratsbeschluss der Stadt Erfurt und ein späterer Befehl der Sowjetischen Militär Administration in Deutschland stellten die Arbeit der Volkshochschule auf eine neue Grundlage und es wurden bereits im Dezember 1945 die ersten Lehrgänge vorgestellt. Neu war hierbei die Möglichkeit, erstmals die Mittelschulreife zu erlangen. Bereits kurze Zeit später konnte dieses Angebot durch Abitur- und Hochschulvorbereitungskurse ergänzt und ausgebaut werden.
Eine Doppelstunde kostete zunächst 1,50 Mark. Praktische Kurse wurden neben dem Bereich der Schulabschlüsse immer wichtiger.
Die gesamten 1950er Jahre waren geprägt von dem Versuch, den Lehrplan immer weiter auszubauen und die Qualität der Lehre Schritt für Schritt zu verbessern.
20.02.1986: Brand am Erfurter Anger - betroffen sind auch die Räumlichkeiten der Volkshochschule
Zu einem Dachstuhlbrand kam es am Abend des 20. Februar 1986 an dem Gebäude Anger 62. Einhundert Feuerwehrleute vom Kommando VPKA, von sieben freiwilligen Feuerwehren und Kräften der Kommandos Weimar und Gotha kamen unverzüglich zum Einsatz, die den Brand erfolgreich bei Temperaturen unter –20 Grad bekämpften. Personen kamen nicht zu Schaden. Sieben Personen mussten evakuiert werden. Das Kino "Am Anger", die HO-Gaststätte "Braugold", die Volkshochschule und benachbarte Verkaufsstellen blieben vorerst geschlossen.
Der Brandschaden bezifferte sich auf 650.000,- Mark. Die Brandursache war ein Defekt an der Schornsteinanlage des Gebäudes.
Umgangssprachlich ist dieses Ereignis durch das gefrorene Löschwasser bei Erfurter Bürgerinnen und Bürgern als "Eispalast" in der Erinnerung geblieben.
Die Volkshochschule bezog für drei nachfolgende Jahre provisorisch Räumlichkeiten in der Erfurter Marktstraße im "Haus zum Güldenen Rade".
Seit 1990
Mit der Wiedervereinigung wurde die Volkshochschule per Beschluss kommunale Bildungseinrichtung, also der Stadt unterstellt, damit hatte sie sich natürlich auch den Herausforderungen des freien Marktes zu stellen. Dies bedeutete konkret, dass über einen längeren Zeitraum Personal abgebaut und professionelle, marktorientierte Strukturen aufgebaut werden mussten. Angebote und Kurse wurden fern ab aller Ideologie fortentwickelt. Zu Beginn der 90er Jahre half ein partnerschaftliches Verhältnis zur Volkshochschule Mainz dabei, Mobiliar, Technik und Know-how nach Thüringen zu transportieren. Besonders als das Gebäude Schottenstraße 7 – dem heutigen Sitz der Volkshochschule – zur Nutzung durch die Stadt bereit gestellt wurde, konnten erstmals Verwaltung und ein Großteil des Unterrichtes an einem Ort gebündelt werden.
Die rechtliche Grundlage für die Arbeit der Volkshochschulen im Freistaat bietet seit 1992 das Thüringer Erwachsenenbildungsgesetz.
Mit Integration der Erfurter Malschule und Schülerakademie im Jahr 2006 wurden wichtige und schöpferische Betätigungsfelder dazu gewonnen.
Volkshochschule der Zukunft
Im 21. Jahrhundert ist es wiederum an der Zeit, neue Wege zu gehen. Die Volkshochschule stellt sich den gewachsenen Anforderungen kommunalen Bildungsmanagements, um die Vernetzung der Volkshochschule in alle Stadt- und Ortsteile mit allen Bevölkerungsgruppen und Bildungspartnern anzugehen. Daran arbeitet täglich ein Team von 21 hauptamtlich beschäftigten pädagogischen und verwaltungstechnisch gut ausgebildeten Mitarbeitern. Die Hauptarbeit leisten die Dozentinnen und Dozenten. Über 400 nebenamtliche Kursleitende sorgen mit ihrem Engagement und Fachwissen dafür, das Lernen in der Volkshochschule Spaß und Freude macht und jeder einzelne sein persönliches Lernziel erreicht.
Die Leiter der Volkshochschule Erfurt seit 1919
- 1919 – 1921 Alfred Denner
- 1921 – 1925 Kurt Otto
- 1925 kommissarischer Leiter Stadtschulrat Schübel
- 1925 – 1933 Kurt Otto
- 1933 – 1937 Kurt Döbler
- 1937 – 1939 Oswald Koch
- 1945 – 1949 Richard Köhler
- 1949 – 1953 Herrmann Willmann
- 1953 – 1955 Heinz Johne
- 1955 – 1959 Dr. Karl Thomann
- 1959 – 1982 Erhard Teltscher
- 1982 – 1997 Dr. Walter Schug
- 1997 – 2007 Peter Kinsinger
- seit 2007 Torsten Haß
Die Arbeitsstätten der Volkshochschule Erfurt seit 1919
- 1919 – 1925: Weidengasse 8
- 1925 – 1939: Neue Straße 11 (Altes Predigerkloster)
- 1945 – 1951: Gartenstraße 70
- 1951 – 1953: Anger 7
- 1953 – 1956: Mao-Tse-Tung-Ring 1/3
- 1974 – 1975: Marktstraße 50
- 1975 – 1991: Anger 57
- seit 1991: Schottenstraße 7
Chronik zum Gebäude „Schottenstraße 7“
- vormals Bauten des ehemaligen Schottenklosters
- das heutige Gebäude wurde 1859 als königliche Kriegsschule errichtet
- 1886 – 1904: 1. Bürgerschule für Knaben
- 1904 – 1948: 1. Knabenmittelschule
- 1949: Grundschule 18/22
- bis 1991: POS 18 „Schottenschule“
- seit 1991: Volkshochschule, später mit Schülerakademie und Erfurter Malschule
Hinweis
Die Informationen stammen größtenteils aus der Broschüre „VHS 90 Jahre – Zur Geschichte der Volkshochschule Erfurt 1919 – 2009“ (Herausgeber: Stadtverwaltung Erfurt, Amt für Bildung, Volkshochschule aus dem Jahr 2009) sowie aus Publikationen des Stadtarchivs Erfurt.
1 Broschüre: „VHS 90 Jahre – Zur Geschichte der Volkshochschule Erfurt 1919 – 2009“ (Herausgeber: Stadtverwaltung Erfurt, Amt für Bildung, Volkshochschule aus dem Jahr 2009), Seite 4.