Sebastian Pütz: Vor einem Bild
In den vergangenen Jahren wendet sich Sebastian Pütz immer mehr einer konzeptuellen Herangehensweise im Kontext von Bild- und Medienanalyse zu. Das fotografische Bild ist dabei Ausgangs- und regelmäßiger Reflexionspunkt seiner Auseinandersetzung, in welcher die Inszenierung von großer Bedeutung ist. Dem Gedanken folgend, dass der Fotograf ähnliche Strategien wie der Zeichner oder der Maler nutzt und es strukturelle Gemeinsamkeiten dieser Medien an sich und in deren Modi gibt, hinterfragt er die Fotografie als bildgebendes Verfahren.
Die Motive seiner Fotografien fand Sebastian Pütz auf Wanderungen durch den Thüringer Wald bzw. im Internet. Einige seiner Arbeiten erstellt Pütz im (analogen) Collageverfahren, in anderen bezieht er sich auf den Pionier der Fotografie Henry Fox Talbot und nutzt die Technik des Fotogramms und überträgt das historische Verfahren in eine zeitgemäße (computergestützte) Bildsprache. Mit seiner Vorgehensweise entbindet er, wie viele zeitgenössische Fotografen, das Medium von seiner klassischen Funktion der Abbildung von Wirklichkeit.
Als Motive wählt Pütz häufig Pflanzen; in den drei gezeigten zentralen Werkserien thematisiert er den Wald als Gesamtheit, den Baum in seiner Einzelerscheinung sowie die Blätter als Pflanzenbestandteile.
Die Ausstellung findet in Kooperation mit dem Erfurter Kunstverein e. V. statt. Sie wurde ermöglicht mit freundlicher Unterstützung durch die Thüringer Staatskanzlei, die Sparkasse Mittelthüringen und die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen.
Eröffnung ist am Donnerstag, dem 18. Oktober um 19 Uhr.
Abbildung (2016)
Digital Fine Art Prints
Aus botanischen Bestimmungsbüchern werden Abbildungen eingescannt und ausgedruckt.
Anschließend können aus diesen Bildern nach eigenem Ermessen Teile herausgeschnitten und mit Klebestreifen
auf einer glatten Fläche fixiert bzw. aufeinander geklebt werden, bevor sie 1:1 abfotografiert werden.
Man blickt auf eine Fotografie und sieht durch sie ein anderes Bildmedium – die Zeichnung. Beide Bildmedien
treten in einen Dialog über ihre Bedingungen und Möglichkeiten.
Sebastian Pütz meint, dass durch die Inszenierung auf dem Weg zum fotografischen Bild der Künstler ähnliche Strategien wie der Zeichner/Maler nutzt und es strukturelle Gemeinsamkeiten von fotografischem und zeichnerischem Modus gibt. Mit dem Prozess der Inszenierung unterliegen Form und Inhalt der Fotografie dem Willen des Künstlers. Die damit verbundenen Freiheiten und erweiterten gestalterischen Möglichkeiten bedeuten eine Ausweitung des Spielraums des künstlerischen Spektrums.
Verbindet man in der Regel mit der Fotografie Objektivität und Abbild von Realität und mit dem Stift oder dem Pinsel Subjektivität, Phantasie und Freiheit, werden bei "Abbildung" diese Grenzen in Frage gestellt und Überschneidungen und Gemeinsamkeiten beider Produktionsweisen thematisiert.
Bild (2015)
C-Prints
Die Arbeit BILD besteht aus insgesamt sechs Fotografien (davon werden fünf in der Ausstellung gezeigt), die ein Waldmotiv zeigen. Jedes Waldmotiv wurde an der Atelierwand aus vielen Bildteilen zusammengefügt und jeweils im Maßstab 1:1 abfotografiert. Es handelt sich immer um die gleiche Anzahl von Bäumen und die ungefähr gleiche Positionierung. So wird der flüchtige Eindruck erweckt, immer das gleiche Bild in unterschiedlichen Größen zu sehen – wobei diese Möglichkeit der Fotografie (Bilder zu vergrößern und zu verkleinern) in dem Projekt gerade nicht praktiziert wird. 15 Fotografien von Fichten wurden vervielfältigt, ausgeschnitten und einzeln mit Klebestreifen zu einem neuen Waldstück an die Atelierwand komponiert.
Bäume, die an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten aufgenommen wurden, fanden zusammen. Viele Bildteile wiederholen sich in unterschiedlicher Beschneidung und Position. Die Atelierwand ist Teil des Bildes in Form eines weißen, umlaufenden Streifens, der wie ein Passepartout wirkt, und so den Ausschnittcharakter der Fotografie betont.
Ist das Dokumentarisch-Fotografische (zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort referierend auf eine physischen Wirklichkeit) in den einzelnen Bildteilen noch gegeben, löst sich dies in der Konstruktion des gesamten Bildes auf und wird gleichzeitig wieder von der gezeigten Gesamtfotografie (dem präsentierten Bild) umschlossen und betont.
Die Bildgröße (Bildbreite) der Fotografien der Serie BILD richtet sich nach den gängigen Breiten von Colorfotopapieren, die als Rollenware von Kodak, Agfa und Fuji bis zum Übergang von der analogen zur digitalen Produktpalette in den 2000er Jahren produziert wurden.
Die Bilderrahmenfarbe entspricht dem Grau einer Graukarte (Graukeil), welche ein unabdingbares Hilfsmittel beispielsweise für die exakte Belichtung während der Arbeit im Fotostudio ist oder für die farbgenaue Reproduktion von Schwarzweißbildern beim Druck.
Negativ (2015)
Silbergelatineabzüge auf Baryt-Papier und Nassklebeband
Die von Sebastian Pütz für die Serie "Negativ" verwendeten digitalen Ausgangsbilder sind gegoogelte digitale Reproduktionen von analogen Negativen des englischen Fotografen Henry Fox Talbot (1800–1877; Erfinder des Negativ- Positiv-Verfahrens). Um 1840 legte Talbot immer wieder Pflanzen auf lichtempfindliches Papier. Diese Fotogramme entstanden ohne Apparatur einzig durch den unmittelbaren Kontakt des Objekts mit dem Fotopapier und unter Einwirkung von Licht. Sebastian Pütz überträgt dieses historische Verfahren in eine zeitgemäße (computergestützte) Bildsprache.
Für diese Serie arbeitet der Künstler in einem dunklen Fotolabor. Der Laptop ist sein Werkzeug, das Internet die Bildquelle. Er wählt sich eines der dort verfügbaren Talbotbilder aus, rastert das Motiv und lichtet Bildsegment für Bildsegment ab. Dazu legt er ein Stück Schwarzweiß-Barytfotopapier auf den erloschenen Monitor des Laptops, schaltet diesen kurz ein, sodass das Fotopapier mit dem ausgewählten Bildsegment belichtet wird. Nach wenigen Sekunden schaltet er den Monitor wieder aus. Das belichtete Fotopapier wird in den bereitstehenden Chemiebädern entwickelt, fixiert und konserviert. Anschließend wird das Bild zum Trocknen auf eine Platte gelegt und mit Nassklebeband fixiert. Der Trocknungsprozess dauert einige Stunden. In der Zwischenzeit belichtet Sebastian Pütz die weiteren Segmente des Gesamtmotivs, bis das gesamte digitale Bild als analoges Negativ, bestehend aus beispielsweise 100 Einzelbildern, vorhanden ist. Die Einzelbilder werden vom Künstler zu einem Tableau arrangiert, welches das Talbot-Gesamtmotiv wiedergibt.
Durch diesen Prozess entsteht ein Negativ, das die Vorlage Talbots (Negativ) nun als Positiv wirken lässt. Die Herstellung eines Bildes zieht sich über mehrere Tage hin, was durch die Datumsanzeige des Browsers sichtbar wird. Bei der Arbeit "Negativ" gibt es keine analoge Wirklichkeit mehr, auf die reagiert wird. Durch Software gelenkt, erzeugen die Lichtparzellen des Bildschirms Helligkeitsunterschiede, die Ähnlichkeiten zu Talbots Fotogrammen aufweisen. Zudem gibt es die Information des digitalen Ortes des Bildes (Adressleiste des Browsers) und des Zeitpunktes der Aufnahmen (Datums/Zeitangabe des Browsers). So werden Fragen nach der heutigen Generierung von digitalen Fotos, nach der Originalität von Fotos, nach dem Ort der Bilder, nach ihrem Umgang und den damit verbundenen Konsumstrategien aufgeworfen.
Die verwendeten digitalen Vorlagen können überall und jederzeit im Internet aufgerufen, heruntergeladen,
reproduziert und weiterverarbeitet werden – in der Arbeit "Negativ" werden sie zu einem neuen Bild – einem Unikat.
Window (2018)
C-Prints
Unzählige Fotografien an unzähligen Orten entstehen zurzeit durch Google-Kameras. Basierend auf Algorithmen werden automatisch digitale Fotografien von Orten erzeugt, zusammengefügt und für die Präsentation am Bildschirm verfügbar gemacht. Scheinbar erfüllt sich hier die weitverbreitete Meinung aus den Anfängen der Fotografie, dass diese vermeintlich frei von Künstlerhand sei. 1835 wurde in der Südgalerie in Lacock Abbey, dem Familiensitz der Talbotfamilie, aus dem Inneren des Gebäudes durch ein Erkerfenster in den angrenzenden Park fotografiert.
Die Aufnahme entstand mit einer Camera Obscura und gilt als das älteste erhaltene Negativ Talbots. Google Street View hat die Arbeit "Window" ermöglicht, die den Park von Lacock Abbey zeigt, ohne dass der Fotograf selbst vor Ort war. Im Zentrum des Tableaus sieht man etwas unscheinbar dieses Erkerfenster.
Talbots Fotografie aus dem Fenster von 1835, welche die Welt außerhalb nur andeutet und die relativ undeutliche Visualisierung der Google-Kamera von 2016 bilden einen Ausgangspunkt für eine Reflexion über die Geschichte und die verschiedene Entwicklungen und Veränderungen der Fotografie.
Sebastian Pütz wurde 1975 in Erfurt geboren. Von 2004 – 2010 studierte er künstlerische Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Prof. Timm Rautert und Prof. Christopher Muller.
Öffentliche Führungen
donnerstags
1. November, 29. November, 13. Dezember,
jeweils 19:00 Uhr
sonntags
9. Dezember, 6. Januar,
jeweils 11:15 Uhr
Katalogpräsentation mit Künstlerführung
Sonntag, 18.11., 11:15 Uhr