
Natur als Kunst

Die künstlerische Darstellung von Landschaft erfährt im 19. Jahrhundert einen tiefgreifenden Wandel. Inmitten der Natur entstehen in Malerei und Fotografie Werke von hoher Innovationskraft. Von den Fesseln der Akademietraditionen befreit, begaben sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts junge Maler aus ganz Europa auf Reisen. Im bayerischen Voralpenland, in Italien und Griechenland oder im Wald von Fontainebleau begannen sie, unmittelbar in der Natur zu malen. Das Abseitige und Unberührte der heimischen oder fernen Landschaften, der Ebenen oder Gebirgslandschaften sowie die Phänomene der wechselnden Lichtstimmungen weckten nun ganz besonders das Interesse der Landschafter. Früh fanden auch diejenigen ihren Weg in die Natur, die sich dem gänzlich neuen Bildmedium der Fotografie verschrieben hatten. Im unmittelbaren Naturkontakt gelangen auch den Fotografen spektakulär neue Ansichten, wobei sie ihre Motive auch abseits eingefahrener Routen fanden.
Zwei innovative Bildmedien des 19. Jahrhunderts treffen in dieser Ausstellung aufeinander: die naturnahe Ölskizze aus der Sammlung der Christoph Heilmann Stiftung und die frühe Landschaftsfotografie aus dem Münchner Stadtmuseum. 77 Landschaftsgemälde sowie 60 Fotografien machen das Wechselspiel von Ölmalerei und Fotografie facettenreich sichtbar. Während sich die Malerei zunehmend der Fotografie als Vorlage bediente, entwickelte die Fotografie in der Tradition von Malerei und Druckgrafik eine eigene Bildwelt und Ästhetik.
Die präsentierte Sammlung von Landschaftsgemälden des frühen bis mittleren 19. Jahrhunderts ist die Frucht der Sammeltätigkeit des Kunsthistorikers, Landschaftsspezialisten und ehemaligen Referenten der Neuen Pinakothek, Christoph Heilmann. Seit 2013 bereichert die Sammlung mit ihren Gemälden, Ölstudien und Kleinbronzen als Dauerleihgabe das Münchner Lenbachhaus. Der zeitliche Rahmen der Sammlung umspannt die Epoche der romantischen Landschaftsmalerei mit ihren naturreligiösen Facetten bis hin zum neuen Realismus. Im beginnenden 19. Jahrhundert wurden akademische Regeln der Ästhetik vom Gefühl für die Naturschöpfung und für ihre vielfältigen Erscheinungsweisen abgelöst. Die Künstler widmeten sich verstärkt den Phänomenen des steten Wandels von Licht- und Wetterverhältnissen, Wolkenbildungen und Tageszeiten. Es entstand die „paysage intime“, das intime Landschaftsbild, das neben frühen Ölskizzen den Schwerpunkt der Sammlung ausmacht.
Neben der Münchner Schule umfasst die Ausstellung wegweisende Beispiele der Dresdner Romantik sowie der Berliner und Düsseldorfer Schule, darunter Werke führender deutscher Landschaftsmaler wie Johann Georg Dillis, Johan Christian Dahl, Carl Blechen, Carl Rottmann, Louis Gurlitt, Carl Friedrich Lessing, Johann Wilhelm Schirmer, Eduard Schleich d. Ä. oder Carl Spitzweg. Zugleich gilt ein wichtiger Bestand den französischen Malern von Barbizon. Mit den Namen Théodore Rousseau, Camille Corot und Gustave Courbet verbindet sich eine bahnbrechende Revolution der Pleinair-Landschaftsmalerei, die zum Wegbereiter des französischen Impressionismus wurde. Zeitgleiche Kleinbronzen in der Sammlung veranschaulichen das neue Thema Natur auch im Medium der Plastik.
Vielfältige Korrespondenzen ergeben sich zwischen der Sonderausstellung „Natur als Kunst“ und der Gemäldesammlung des Angermuseums mit ihrem besonderen Schwerpunkt der Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert. So lässt sich in der Gemäldegalerie das Ausstellungsthema anhand zahlreicher Gemälde mit deutschen und italienischen Landschaften weiterverfolgen und auch beobachten, wie stark die Weimarer Malerschule durch die Pleinairmalerei der Künstler von Barbizon angeregt wurde.
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Jean-Baptiste Camille Corot: Der Große Baum (Studie), um 1865, Öl/Holz Abbildung: © Christoph Heilmann Stiftung am Lenbachhaus in München
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Théodore Gudin: Boote am Strand bei Ebbe, um 1840, Öl/Malpappe Abbildung: © Christoph Heilmann Stiftung am Lenbachhaus in München
Die Fotografie stand Mitte des 19. Jahrhunderts noch am Anfang ihrer Entwicklung. Auf die anfangs langwierigen Aufnahme- und Verarbeitungsprozeduren folgten schnell technische Neuerungen, die das Fotografieren erleichterten und beschleunigten. Die Unmittelbarkeit und Präzision, mit der die Fotografie das Abbild von Natur und Landschaft festhielt, faszinierte viele Maler im 19. Jahrhundert. So hatte die Fotografie bereits um 1855 Eingang in viele Malerateliers gefunden: Umfassende Sammlungen fotografischer Baum-, Pflanzen-, Wolken-, Wellen-, und Tierstudien dienten den Malern als Erinnerungsstütze oder als Korrektiv ihrer künstlerischen Wahrnehmung. Aus der über 500 Werke umfassenden Sammlung fotografischer Vorlagenstudien für Künstler im Bestand des Münchner Stadtmuseums zeigt die Ausstellung eine Auswahl bedeutender „Études d'après nature“ (Studien nach der Natur) von deutschen, französischen, englischen und italienischen Fotografen.
Die lichtvollen Landschaften der Freilichtmaler von Barbizon beeinflussten auch jene Fotografen, die es Mitte des 19. Jahrhunderts in den Wald von Fontainebleau zog. Sie hielten die abwechslungsreiche und unberührte Natur dieses Ortes in ihren Aufnahmen fest und studierten parallel zu den Malern die wechselnde Wirkung des Sonnenlichts. Seine Urtümlichkeit und Wildheit machte den südlich von Paris gelegenen Wald von Fontainebleau zu einem beliebten Ziel für viele Künstler, Literaten und Touristen. Eine besondere Herausforderung für die frühen Landschaftsfotografen stellte die Hochgebirgsfotografie dar. Durch verbesserte technische Verfahren entstanden ab Mitte des 19. Jahrhunderts künstlerisch zunehmend anspruchsvolle Darstellungen europäischer Bergregionen.
Präsentiert werden Fotografien unter anderem von Adolphe Braun, Giacomo Caneva, Georg-Maria Eckert, Constant Alexandre Famin und August Kotzsch.
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Constant Alexandre Famin: Waldweg im Herbst, Barbizon, um 1865 Foto: © Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie
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Constant Alexandre Famin: Waldweg im Herbst, Barbizon, um 1865 Foto: © Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie
Mit über 800.000 Fotografien, Kameras und Fotobüchern zählt die Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums zu den bedeutenden Institutionen ihrer Art in Europa. 1963 als Film- und Photomuseum auf Initiative der Stadt München, des Freistaats Bayern und des Deutschen Photoindustrie-Verbands gegründet, beherbergt die Abteilung mehr als dreißig Archive und Nachlässe bedeutender Fotografinnen und Fotografen. Die Schwerpunkte der Sammlung bilden umfangreiche Konvolute zur Portrait- und Architekturfotografie, Reise- und Aktfotografie, der Subjektiven Fotografie sowie der Mode- und Reportage-Fotografie des 20. Jahrhunderts.
Öffentliche Kuratorenführungen
Dienstag, 15 Uhr
- 14. August
- 4. September
- 16. Oktober
Sonntag, 11 Uhr
- 26. August
- 9. September
- 16. September
Sonntag, 15 Uhr
- 7. Oktober
- 28. Oktober
Gespräche und Vorträge
28. August, 18:30 Uhr
Eine neue Kunst? Fotografie im 19. Jahrhundert
Gesprächsabend mit Dr. Ulrich Pohlmann
Prof. Dr. Kai Uwe Schierz und Thomas von Taschitzki M. A. im Gespräch mit Dr. Ulrich Pohlmann, Sammlungsleiter Fotografie im Münchner Stadtmuseum
2. Oktober, 18.30 Uhr
Romantik und Realismus – Zwei Epochen der Landschaftsmalerei an Beispielen der Christoph Heilmann Stiftung
Vortrag von Dr. Andreas Strobl, Oberkonservator der Staatlichen Graphischen Sammlung München für die Kunst des 19. Jahrhunderts, Vorstand der Christoph Heilmann Stiftung, Lenbachhaus München
16. Oktober 2018, 18.30 Uhr
Naturgefühl und Wanderlust – Wie viel Emotion steckt in einem Landschaftsbild?
Vortrag von Dr. Claudia Denk, Kuratorin und Geschäftsführerin der Christoph Heilmann Stiftung, Lenbachhaus München
Matinee-Veranstaltung
Sonntag, 7. Oktober 2018, 11:00 Uhr
„Alles drängt zur Landschaft“ – Deutsche und französische Künstlerbriefe des 19. Jahrhunderts.
Iris Renner-Kunert liest aus Briefen von Caspar David Friedrich, Friedrich Nerly, Carl Rottmann, Gustave Courbet u.a.
(Der Besuch dieser Veranstaltung ist im Eintrittspreis inbegriffen)
Museumspädagogisches Projekt
06. – 08.08.2018 und 08. – 10.08.2018, jeweils 10 –14 Uhr
Wolkenlos! – Natur wird Kunst
Mit der Imago e. V. Jugendkunstschule, www.imago-erfurt.de
(Anmeldung: Tel. 0361/5625744, kunst@imago-erfurt.de)
Zu den Gemälden und Fotografien der Ausstellung „Natur als Kunst“ sind an der Museumskasse zwei separate Kataloge erhältlich: Der Katalog der Christoph Heilmann Stiftung in München, „Natur als Kunst – Frühe Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts in Deutschland und Frankreich“ (Verlag Das Wunderhorn 2013, 288 S. mit zahlreichen Textbeiträgen und farbigen Abb., 25 €) und der Katalog zur Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums: „Natur als Kunst – Landschaft im 19. Jahrhundert in Malerei und Fotografie“ (Wienand Verlag 2016, 128 S. mit farbigen Abb., 23 €) mit Beiträgen von Ulrich Pohlmann, Svenja Paulsen, Rudolf Scheutle und Sabrina Mandanici erhältlich. Als Buchpaket kosten die Kataloge zusammen 44 €.