Kreisfreie Städte fordern Rettungsschirm vom Land
Dramatischer Appell der Oberbürgermeister zur Finanzlage
Im Schreiben heißt es:
Als kreisfreie Städte sind wir nicht in der Lage, die bevorstehende Haushaltskrise allein zu bewältigen und appellieren daher an Sie: Bitte tun Sie Ihr Möglichstes, damit die Thüringer Kommunen keine über Jahrzehnte bleibenden Schäden davontragen!
Heute untermauerten die Oberbürgermeister diese Forderung im Erfurter Rathaus vor Medienvertretern:
„Wir befinden uns in der kritischsten Lage seit der Wiedervereinigung. Ohne massive Unterstützung des Landes werden wir die Krise nicht als handlungsfähiges Gemeinwesen überleben.“ (OB Andreas Bausewein, Erfurt)
„Unsere Forderung ist der Ausgleich der Corona-bedingten Ausfälle. Wir können die Krise nicht auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger austragen, brauchen andererseits aber weiterhin die Möglichkeit, freiwillige Aufgaben erfüllen und Investitionen tätigen zu können.“ (OB Katja Wolf, Eisenach)
„Es ist mir ausgesprochen wichtig zu betonen, dass die vorgegebene Öffnung von Verschuldungsmöglichkeiten für Kommunen definitiv keinen Ersatz für zwingend notwendige Zuweisungen des Freistaates darstellen darf. Wir erwarten, dass hier der Freistaat Thüringen seinen Kommunen zur Seite steht und notfalls selbst neue Schulden aufnimmt“. (OB André Knapp, Suhl)
„Die Stadt Gera begrüßt die Ankündigungen zum Hilfspaket für Thüringer Landkreise und kreisfreie Städte in Höhe von 185 Mio. Euro. Dies ist ein erstes Signal. Jedoch bedarf es zur realistischen Deckung der Aufwendungen eines Rettungsschirmes für die Kommunen und Städte von mindestens 900 Millionen Euro.“ (OB Julian Vornab, Gera)
„Die Coronakrise reißt in die kommunalen Haushalte eine Riesenlücke. Wenn wir keine finanzielle Unterstützung bekommen, wird ein städtisches Leben, so wie wir es bisher kannten, nicht mehr möglich sein. Das hieße für eine Kulturstadt wie Weimar auch, die Breitenkultur verhungern lassen zu müssen. Der Schaden wäre irreversibel.“ (OB Peter Kleine, Weimar)
Nach Auffassung der Kommunalpolitiker muss der Freistaat Thüringen die erheblichen Corona-bedingten Sonderlasten der Kommunen ausgleichen. Dabei berufen sie sich auf ein Urteil des Thüringer Verfassungsgerichts vom 21.06.2005. Darin heißt es:
Der Freistaat ist verpflichtet, den Kommunen eine finanzielle Mindestausstattung zur Verfügung zu stellen, die es ihnen ermöglicht, ihre Pflichtaufgaben zu erfüllen und darüber hinaus noch ein substantielles Maß an freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen. Dieser Finanzierungsanspruch steht nicht unter dem Vorbehalt der Leistungskraft des Landes, sondern ist leistungskraftunabhängig.
Schon vor der derzeitigen Situation war umstritten, ob das Land seine Städte, Gemeinden und Landkreise ausreichend finanziert. Nun kommen noch die dramatischen finanziellen Auswirkungen durch die Corona-Pandemie hinzu. Die kreisfreien Städte gehen davon aus, dass die Gewerbesteuereinnahmen in 2020 um 30 Prozent zurückgehen werden. Bei den Anteilen von Einkommens- und Umsatzsteuern erwarten sie einen Rückgang von zehn Prozent. Das bedeutet für die kreisfreien Städte allein in diesem Jahr ein Defizit von über 100 Millionen Euro. Hinzu kommen die Verluste der kreisangehörigen Städte und Gemeinden sowie die überall wegbrechenden kommunalen Aufwandssteuern, sinkenden Gebühren und steigenden Ausgaben.
Die Thüringer Oberbürgermeister schätzen das kommunale Minus in 2020 auf 900 Millionen Euro. Die Krise, so die Oberbürgermeister, wird die Thüringer Kommunen bis mindestens 2023 finanziell beschäftigen, wahrscheinlich sogar noch viel länger. Bereits jetzt sind deutlich ansteigende Sozialausgaben feststellbar. Alle kreisfreien Städte mussten schon Haushalts- und/oder Stellensperren verhängen. Sie haben Investitionen verschoben oder ganz gestoppt. Derzeit ist es in keiner Stadt möglich, einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen, beschließen und von der Kommunalaufsicht bestätigen zu lassen.
Folgende konkreten Maßnahmen erwarten die Oberbürgermeister vom Land:
- Die Mindereinnahmen bei Gewerbesteuern sowie die Anteile an der Einkommens- und Umsatzsteuer für die Jahre 2020 und 2021 werden im Vergleich zu den durchschnittlichen Ist-Einnahmen 2017 – 2019 ausgeglichen.
- In einem einfachen Verfahren werden weitere gemeindespezifische Einnahmeausfälle und Mehrausgaben ausgeglichen, ohne dass ein Haushaltssicherungskonzept verlangt wird.
- Der Landesausgleichsstock im Kommunalen Finanzausgleich wird deutlich erhöht, um den vielen bevorstehenden Anträgen auf nichtrückzahlbare Bedarfszuweisungen überhaupt nachkommen zu können.
- Perspektivisch wird der Kommunale Finanzausgleich grundlegend überarbeitet. Ziel muss eine bedarfsgerechte Aufgabenfinanzierung sein.
„Wenn Sie eine moderne, bedarfsgerechte und umfassende kommunale Infrastruktur behalten wollen, wenn Thüringen für seine Einwohner attraktiv und lebenswert bleiben soll, dann müssen Sie jetzt einen Rettungsschirm über den Kommunen aufspannen.“ (OB Andreas Bausewein, Erfurt)