Gedenken an damals gibt Impulse für Engagement heute
„Die Erinnerung an das Kriegsende in Thüringen und an die Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald vor 70 Jahren muss uns Anlass sein, gerade auch in heutiger Zeit rassistischen und neofaschistischen Kräften entgegenzutreten, die sich momentan in Übergriffen gegen Flüchtlingsunterkünfte, gegen Gedenkstätten oder auch in fremdenfeindlichen Aktivitäten im Rahmen von Bewegungen wie ‚Thügida‘ manifestieren!“, mit dieser Botschaft spannte Prof. Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, bei einer Gedenkveranstaltung am Erinnerungsort Topf & Söhne den Bogen von den Ereignissen im Jahre 1945 bis zu den Herausforderungen unserer heutigen Zivilgesellschaft.
Das Gedenk-Wochenende am 11. und 12. April wurde in Erfurt mit Veranstaltungen am Erinnerungsort und im Stadtarchiv begangen; rund 230 Besucher nahmen teil. Die besondere Qualität des Wochenendes bestand darin, dass neben dem Kriegsende und der Befreiung des KZ Buchenwald auch die Vorgeschichte, Aspekte der NS-Gewaltherrschaft sowie die Beteiligung von Erfurter Betrieben wie Topf & Söhne am Holocaust Berücksichtigung fanden.
Einen Schwerpunkt bildete eine Gesprächsrunde am Erinnerungsort Topf & Söhne mit den Teilnehmern Prof. Reinhard Schramm, Überlebender, Karl Metzner, Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, Dr. Anselm Hartinger, Direktor der Erfurter Geschichtsmuseen, und Johanna Lehmann, Mitautorin der Ausstellung über die Erfahrungen der Überlebenden des KZ Mittelbau mit dem Titel „Heimkehr? Wege der Befreiung“, die im Erinnerungsort bis 3. Mai zu sehen ist. Moderiert wurde das Gespräch von der Kuratorin des Erinnerungsortes, Dr. Annegret Schüle. „Der April 1945 bedeutete für viele zwar die Befreiung von Krieg und Gefangenschaft, nicht aber die Befreiung vom Verlust ihrer Angehörigen, von Gewalterfahrungen und Traumata“, führte sie aus. Filminterviews mit Überlebenden und das Gespräch mit den Zeitzeugen und Experten zeigten dann auch, dass die Befreiung von jedem Betroffenen damals anders empfunden wurde.
Damit Gedenk- und Jahrestage nicht zu starren Ritualen verkommen, müssten solche Begegnungen und Gespräche an authentischen Orten wie dem Erinnerungsort stattfinden und differenzierte Perspektiven ermöglichen, erläuterte Dr. Anselm Hartinger. Ganz in diesem Sinne gab am zweiten Veranstaltungstag das Stadtarchiv Erfurt Zeitzeugen aus Töttelstädt und Schmira Raum, ihre Kindheitserlebnisse rund um die Tage der Befreiung zu schildern. Die Ankunft amerikanischer und sowjetischer Truppen, das große Leid der vom Krieg gezeichneten Einheimischen und Flüchtlinge, aber auch der Fanatismus der letzten verbliebenen Kämpfer auf Seiten von Wehrmacht und SS – all dies thematisierten die Redner in der von Dr. Antje Bauer, Direktorin des Stadtarchivs, moderierten Gesprächsrunde, die große Resonanz fand. Im Anschluss erfolgte ein eigens für dieses Gedenk-Wochenende konzipierter historischer Stadtgang mit Dr. Anselm Hartinger. Er brachte den Teilnehmern Orte nahe, an denen auch heute noch Themen wie NS-Herrschaft, „Gleichschaltung“, Bombenkrieg und Befreiung erlebbar gemacht werden können. Zu den Stationen zählten die Johannesstraße, wo 1945 die amerikanischen Panzer angekommen waren, das Augustinerkloster, wo bei einem Bombenangriff kurz vor Kriegsende 267 Menschen ihr Leben verloren, und der Luftschutzkeller des ehemaligen Polizeipräsidiums, welcher den Teilnehmern durch Karin Breitkreutz, Museumspädagogin am Stadtmuseum, erläutert wurde.
Eröffnet wurde im Rahmen des Gedenk-Wochenendes zudem die Fotoausstellung „Landschaft mit Campanile I“ von Aribert Janus Spiegler, die ebenfalls bis 3. Mai im Erinnerungsort Topf & Söhne zu sehen ist. Der Künstler hat den Glockenturm am Ettersberg, das Mahnmal für die Opfer von Buchenwald, aus verschiedenen Perspektiven fotografiert und dabei das Bauwerk in Beziehung gesetzt zu anderen Orten in Erfurt und Weimar, darunter die Predigerkirche, das Augustinerkloster, den Dom, das ehemalige Verwaltungsgebäude von Topf & Söhne und die Viehauktionshalle. Auf diese Weise entstand, so Laudator Prof. Kai Uwe Schierz, Direktor der Erfurter Kunstmuseen, eine künstlerische Einladung zum Nachdenken und ein kreatives Zeugnis für die Ambivalenz von Geschichte.