Zurückgekehrt: Verschollene Skizzenbücher des bedeutendsten Erfurter Künstlers Friedrich Nerly
Rund zweieinhalb Jahre ist es her, dass vier der sieben seit der ersten Nachkriegsinventur im Jahr 1967 vermissten Skizzenbücher Nerlys von einer amerikanischen Galerie in San Francisco zum Verkauf aufgeboten wurden. Alle trugen die Inventarnummer des Angermuseums, in derselben Schrift wie sie im Inventarbuch und auf den Inventarkarten des Museums zu finden sind. Sie waren ursprünglich Teil eines umfangreichen Konvoluts mit Werken aus dem künstlerischen Nachlass Friedrich Nerlys, das den weltgrößten Bestand seiner Gemälde, Zeichnungen und Skizzenbüchern umfasst, insgesamt mehr als 800 Positionen. Diese Nerly-Schenkung des Sohnes Friedrich Nerly d. J. an die Geburtsstadt seines Vaters 1883 führte 1886 zur Gründung des Städtischen Museums im alten Pack- und Waaghof am Anger in Erfurt. Die Bücher gehören zu einer Sammlung von ursprünglich 22 Skizzenbüchern Nerlys im Erfurter Museumsbestand. Sie enthalten Landschafts-, Tier- und Figurenstudien, Skizzen von Architekturdetails in Venedig sowie Panoramaansichten der Lagune.
Im Skizzenbuch Inv.-Nr. 3292 (ca. 1837) finden sich neben vorwiegend landschaftlichen Skizzen aus Civitella, Mailand und vom Gardasee auch die wahrscheinlich ersten Studien Nerlys aus Venedig. Bildmäßig ausgeführte Aquarelle und Kompositionen in Bleistift und Tusche vermitteln einen Eindruck von Nerlys venezianischem Schaffen. Im Skizzenbuch Inv.-Nr. 3111 (1837/38) finden sich viele Studien mit Bleistift und Aquarell des Künstlers von Schiffen, Gondeln, Fischern und Pferden, vorwiegend aus Venedig. Das dritte Buch (Inv.-Nr. 3901) lässt sich als letztes Skizzenbuch Nerlys aus dem Sterbejahr 1878 identifizieren und ist deshalb von hohem biographischem Interesse. Zum künstlerisch Wichtigsten gehören lose Teile eines vierten Skizzenbuches (Inv.-Nr. 3113) aus der römischen Zeit des Künstlers um 1829/30 mit aquarellierten Studien und Tierstudien in Tinte und Bleistift. Manche Detailstudien und Kompositionsentwürfe lassen sich später ausgeführten Werken Nerlys zuordnen und sind deshalb von hohem Wert für die kunsthistorische Forschung.
Die Rückführung der Bücher ist dem beispielhaften Engagement und der guten Zusammenarbeit deutscher und amerikanischer Polizeibehörden sowie weiterer Partner zu verdanken. "Ich danke allen an der Rückführung beteiligten Partnern, insbesondere dem Landes- und Bundeskriminalamt; Interpol; dem Department of Homeland Security, Immigration and Customs Enforcement (DHS ICE, Bundeskriminalbehörde der U.S.A. für Einwanderung und Zoll), dem Berliner Anwalt Prof. Dr. Peter Raue sowie der Kulturstiftung der Länder und der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste. Mein Dank gilt aber auch dem Direktor des Angermuseums, Dr. Morath-Vogel, der eine nicht unwesentliche Aktie an der Rückführung der Skizzenbücher hat", erklärt Oberbürgermeister Andreas Bausewein. "Ich bin sehr froh, diese über die Grenzen Thüringens hinaus bedeutsamen Kunstgüter wieder in Erfurt zu wissen." Mit der Rückkehr der Skizzenbücher kann das Angermuseum eine empfindliche Lücke in seinem einzigartigen Nerly-Bestand schließen.
Die Zentralen Restaurierungswerkstätten der Landeshauptstadt Erfurt werden die Skizzenbücher in den kommenden Wochen eingehend untersuchen. Die zuständige Papierrestauratorin Susanne Kirchner wird eine Zustandserfassung anfertigen und notwendige konservatorische Maßnahmen durchführen. Bei erster Sichtung der Bücher stellte sie fest: "Die Skizzenbücher sind in einem guten, ihrem Alter entsprechenden Zustand, das Papier weist nur wenige Stockflecken und Bräunungen auf." Nach der Untersuchung werden die Bücher der Grafischen Sammlung des Angermuseums übergeben. Anlässlich des 200. Geburtstages von Friedrich Nerly 2007 hatte das umbaubedingt geschlossene Angermuseum eine Nerly-Ausstellung aus überwiegend eigenem Bestand angeregt und mitorganisiert, die in vier deutschen Bundesländern gezeigt wurde. Inwieweit die Bücher nicht nur Wissenschaftlern, sondern auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wird sich zeigen. Fest steht aber, dass die Kunst Friedrich Nerlys im Angermuseum – und darüber hinaus – auch künftig ein Thema bleiben wird.
Nerly (* 1807 Erfurt, † 1878 Venedig) zählte zu den wichtigsten Künstlerpersönlichkeiten unter den "Deutschrömern" des 19. Jahrhunderts. Besonders der deutsche Hochadel, wie auch amerikanische, englische und sogar indische Sammler gehörten zu seinen Auftraggebern. Seine venezianischen Veduten wurden denen Canalettos gleich gestellt, seine Mondscheinbilder machten ihn berühmt. Nerly war ein begnadeter Zeichner und Aquarellist, von Tieren und Landschaften ebenso wie von Personen und Architekturdetails. Mit etwa 50 Gemälden, ebenso vielen Ölstudien und Hunderten von Zeichnungen, Aquarellen und Skizzenbüchern bewahrt das Erfurter Angermuseum die weltgrößte Sammlung von Werken Friedrich Nerlys.