Historisches Erinnern, um analysieren zu können: Neuerscheinung "Industrie und Holocaust. Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz"
Auch der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt, Andreas Bausewein, unterstrich in seinen einführenden Worten vor den rund 120 Gästen, dass dieses renommierte und weltbekannte Traditionsunternehmen sich ohne Zögern und ohne sichtbare Skrupel am schlimmsten Menschheitsverbrechen der Geschichte beteiligt hatte. "Mit diesem Buch erhellt Annegret Schüle einen Teil der Stadtgeschichte, der es uns nicht leicht macht", so das Stadtoberhaupt.
Annegret Schüles Buch rekonstruiert die Firmengeschichte beginnend mit der Gründung 1878 und belegt die Mitwisser- und Mittäterschaft der Inhaber, Ingenieure und Monteure im Nationalsozialismus. Dargestellt wird, wie ein Thüringer Traditionsunternehmen, das in der Weimarer Republik Bestattungsöfen für städtische Krematorien entwickelte, zum direkten Auftragnehmer der SS wurde.
"Annegret Schüle hat uns mit ihrem Buch eine Tür geöffnet", so Dr. Harry Stein, Kustos für KZ–Geschichte der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Der Raum sei nicht groß, in den sie führt: die Abteilung einer Erfurter Firma. "Betriebsleiter, Angestellte, Arbeiter ̶ Verhandlungen, materielle Interessen, Entscheidungen, Taten ̶ Verantwortlichkeiten, gegenseitige Abhängigkeiten, Verblendung und Kalkül. Ein konkretes, beweisbares Geschehen", so der Wissenschaftler, "ein Teil dieser vergangenen Welt, die wir kennen und verstehen müssen und gleichzeitig ein Stück Menschheitskunde." Das Buch setze nicht den Schlussstein dieser Geschichte. Es schaffe vielmehr erst die Möglichkeit, den Raum zu erfassen, dessen Fenster sich nach Buchenwald und Auschwitz öffneten. Es schaffe die Möglichkeit, die Handelnden kennenzulernen, nicht nur ihre Taten, sondern auch ihre Motive. "Wir müssen sie nicht mögen oder verstehen; sie werden uns nichts Erbauliches bieten, doch wir müssen sie kennen um uns selbst besser zu kennen. Das Buch schafft uns die Möglichkeit dazu; der Raum in dem es spielt, wird Gedenkstätte und Ort des Lernens sein", so Stein, "wir tun das für die, die Opfer wurden und nicht vergessen werden dürfen, aber auch für uns. Es ist Sache der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora das Erkennen zu ermöglichen und das Erzählen zu befördern - heute, morgen und übermorgen."
"Erzählt euren Kindern davon und eure Kinder ihren Kindern und ihre Kinder der folgenden Generation". Dr. Michael Grisko, Referent der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, nutzte die Worte des Propheten Joel, um seine eigene Botschaft an das Auditorium weiterzugeben: Das Erinnern dürfe nicht verlorengehen, es ginge darum, so der Grußredner, sich historisch zu erinnern, um zu analysieren. Nur so sei eine kritische Auseinandersetzung möglich, nur so könne der Stellenwert des persönlichen Erinnerns gefunden werden, nur so könne das eigene Handeln hinterfragt werden. "Wir wollen Bildung und Verantwortung fördern", so Grisko, "aus diesem Grunde hat die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen dieses Buchprojekt unterstützt".
Der 464 Seiten starke Band, der ab sofort unter der ISBN-Nummer 978-3-8353-0622-6 im Buchhandel erhältlich ist, enthält 235 Fotos und Dokumente. Die Autorin wird die Monographie in den folgenden Monaten u.a. auch im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, in der Goethe-Universität Frankfurt/M., in der Universitätsbuchhandlung Thalia, Jena, aber auch in Kooperation mit der "Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit" in Göttingen, in Zusammenarbeit mit dem Historisch-Technischen Museum im Dreyse-Haus und dem Stadtarchiv in Sömmerda und in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora vorstellen.