"Die Faszination des Morbiden": Dieter Demmes Sicht auf die ersten Jahre der Einheit. Erfurt 1990 bis 1995
"Auch das im Abriss befindliche Haus hat eine Ästhetik", so der Erfurter Fotograf Dieter Demme. Als sich im Herbst 1989 abzeichnete, dass im Osten Deutschlands, also auch in Erfurt, nichts so bleiben wird, wie es in den vergangenen 40 Jahren gewesen ist, machte er sich auf den Weg. Er nahm sich vor, festzuhalten, wie der Ort, wo er seit langem lebte und der ihm zur Heimat geworden war, sein Gesicht fortan veränderte. Folglich porträtiert er Stadtlandschaften: Straßen, Gassen, Plätze, Wohnhäuser, öffentliche Bauten, Industrieanlagen - im Zentrum ebenso wie an der Peripherie. "Von der Faszination des Morbiden" spricht er heute, davon, dass Altes oft interessanter ist, als das neu Gestaltete. Seine Aufnahmen, die bis zum 21. November 2010 im Museum für Thüringer Volkskunde Erfurt präsentiert werden, zeigen ein Nebeneinander aus Verfall, improvisierendem "Weiter so!" und hoffnungsvollem Aufbruch. In der Summe ergeben sie ein charakteristisches Panorama des Übergangs in der Nachwendezeit.
Der in Erfurt lebende Dieter Demme (Jg. 1938) beherrscht die Kunst des Hinschauens genauso perfekt wie das Handwerkliche. Neben seiner beruflichen Tätigkeit als Bildreporter entstanden im Laufe der Jahre zahlreiche Arbeiten im Eigenauftrag. Demme, der seit 1979 freischaffend und seit 1990 Mitglied des Verbandes Bildender Künstler Thüringens ist, wurde 1996 in die Deutsche Gesellschaft für Photographie berufen. "Ein Großteil der Aufnahmen ist nicht für die Dauer bestimmt, aber viele sind auch für die Nachwelt interessant". Von "Spekulationen" (von lat. speculari spähen, beobachten) spricht der fotografierende Zeitchronist, alles in allem dokumentieren seine Aufnahmen auf sehr eigene Weise Erfurter Stadtgeschichte.
Zur neuen Ausstellung des Volkskundemuseums ist auch ein Buch in der Reihe "Schriften des Museums für Thüringer Volkskunde" als Band 30 erschienen, das zur Ausstellungseröffnung präsentiert wird. Die Monografie mit Beiträgen verschiedener Autoren, unter ihnen Marina Moritz und Horst Moritz als Herausgeber, mit Ausstellungsdokumentation, Zeittafel und vielen Abbildungen trägt den Titel "Die ersten Jahre der Einheit. Erfurt: 1990 – 1995". Es zeigt, wie der spannende und widerspruchsvolle Prozess des Neubeginns in Erfurt, der Landeshauptstadt Thüringens, verlaufen ist. Den bildhaften Kommentar zum Geschehen gibt der renommierte Erfurter Fotograf Dieter Demme. Öffentlich vorgestellt wird das Buch am 30. September 2010, 20 Uhr, in der Erfurter Buchhandlung Peterknecht, Anger 28.