"Lebens(t)räume" in der Kunsthalle
Vor zwei Jahren entstand das "Buch der Wünsche". Damals forderte Erfurts Stadtoberhaupt dazu auf, auf das Geschehene am Gutenberg-Gymnasium vom 26. April 2002 zu reagieren. Der Aufruf sollte nicht nur einer Aufarbeitung des Amoklaufes dienen, er sollte auch anregen, darüber nachzudenken, was im Leben wichtig und wünschenswert ist.
In dem "Buch der Wünsche" sind die Träume von fast 1500 Thüringer Schülern zusammengefasst, aber auch von Lehrern und anderen Erwachsenen. Jede Seite des Buches offenbart ein Stück Persönlichkeit, in Form von Gedanken, Gedichten, Texten, Feststellungen, Bildern, Collagen – mal verträumt, mal nachdenklich, realistisch oder kritisch.
Die Ausstellung Lebens(t)räume will zu einem Dialog auffordern – nicht nur mit Gleichaltrigen, sondern zwischen den Generationen. Denn ein jeder träumt: Kinder, Eltern, Großeltern. Die Ausstellung zeigt nicht nur, worüber Jugendliche und Erwachsene nachdenken, sie bietet auch Raum zum spielerischen Entdecken, Reflektieren, Träumen sowie Platz für Aktionen und Diskussionen: über Lebenswelten, Probleme und Hilfe.
Grußwort des Oberbürgermeisters zur Eröffnung der Ausstellung "Lebens(t)räume" am 30. August 2005 in der Kunsthalle Erfurt
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Althaus,
sehr geehrter Herr Staatssekretär Eberhardt,
sehr geehrter Herr Schlichting,
sehr geehrter Herr Grusser,
verehrte Damen und Herren,
liebe Gäste,
ich begrüße Sie sehr herzlich zur Eröffnung der Ausstellung "Lebens(t)räume".
Gestern wurde das Gutenberggymnasium wieder eröffnet, an dem sich am 26. April 2002 das Unfassbare ereignet hat, das wohl jedem von uns noch immer ganz gegenwärtig ist. Entsetzen, Trauer, Wut, Ohnmacht beherrschten damals die Gefühle der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt und bei denen, die sich mit ihr verbunden fühlten.
Doch nach dem anfänglich lähmenden Entsetzen und der Sprachlosigkeit passierte etwas mit und in unserer Stadt, das ans Wunderbare grenzt. Die Einwohner Erfurts sind noch am Abend jenes schwarzen Freitags und an den Tagen danach zusammengerückt. Sie haben zusammengestanden, in der Nähe der Schule, auf den Plätzen, im Rathaus, in den Kirchen.
Ein kaum benennbares Ereignis hatte unsere Stadt heimgesucht, wie eine Naturgewalt, aber tatsächlich von Menschen gemacht. Ein Ereignis, das nach der ersten Sprachlosigkeit, dann doch sehr wortreich und mehr oder weniger zutreffend beschrieben wurde. Ein Ereignis, das Fragen über Fragen aufgeworfen hat.
Es war nicht die Zeit der vorschnellen Antworten. Aber es war ein Ereignis, das Antworten brauchte und immer noch braucht, und das auch immer wieder neue Fragen hervorbringt. Genau das wollen wir mit der Ausstellung "Lebens(t)räume" und den damit verbundenen Veranstaltungen versuchen. Wie Sie vielleicht schon sehen konnten, ist an der Installation in der Mitte dieses Raumes ein sehr bemerkenswerter Satz von Hannah Arendt zu lesen:
"Die Welt liegt zwischen den Menschen.
Und dieses Zwischen
– viel mehr als, wie man häufig meint, die Menschen oder gar der Mensch –
ist heute Gegenstand der größten Sorge."
Wir alle haben an jenem Tag im April 2002 sehr intensiv erfahren müssen, wie berechtigt die Sorge um die Entwicklung zwischenmenschlicher Beziehungen ist. Es ist jetzt nicht die Stunde, den Hergang und die Hintergründe dieses Massakers zu rekonstruieren. Es geht mir jetzt auch nicht darum aufzulisten, welche der ganz unmittelbar nach dem furchtbaren Tat vorgebrachten Forderungen, insbesondere im Bereich Schule, inzwischen realisiert sind. Wir haben aber damals auch erfahren dürfen, wie sehr die Welt zwischen den Menschen liegt, wie plötzlich Menschen miteinander trauerten, miteinander sprachen, miteinander aktiv wurden, die das vorher kaum für möglich hielten.
Die Ausstellung, die ab heute für zwei Monate zu besichtigen ist und sich hoffentlich einer großen Besucherresonanz erfreut, geht ganz unmittelbar auf das Ereignis zurück und hat dennoch eine eigene Geschichte.
Wir haben uns im Frühsommer 2002 - nachdem die notwendigen und unvermeidlichen Dinge getan waren - gefragt, wie gehen wir damit um, dass unsere Stadt auf diese Weise zu trauriger Berühmtheit gelangt ist? Wir können als Kommune, als Bürgerschaft, dieses Erbe nicht ausschlagen, doch wie treten wir es an?
So entstand der "Gesprächskreis Gutenberg", bestehend aus Vertretern unterschiedlicher Parteien und Konfessionen, ansässiger Hochschulen, Eltern- und Schülervertretungen sowie verschiedener Medien. Ziel war, all jene Möglichkeiten zu überprüfen, die geeignet sind, den Dialog, insbesondere den Dialog zwischen den Generationen zu befördern.
Erste Ergebnisse waren Wissenschaftliche Konferenzen in den Jahren 2003 und 2004, die das Thema "Jugend und Gesellschaft" aufgriffen und im Jahr 2003 ein Aufruf an Kinder und Jugendliche in Thüringer, ihre "Lebenswünsche" zu formulieren. Die Reaktionen waren so gewaltig, so vielgestaltig und so interessant, dass wir schnell vor der Frage standen, wie wir sie präsentieren könnten. Der "Gesprächskreis Gutenberg" entschied sich für das Ausstellungsprojekt "Lebens(t)räume", das wir heute eröffnen.
Damit verbunden sind zahlreiche Veranstaltungen, die allesamt den Dialog zwischen den Menschen und besonders eben den Dialog zwischen den Generationen moderieren sollen. Dass das Projekt zustande kam, ist vielen zu danken, die jetzt gar nicht alle aufgezählt werden können.
Nur einige Namen möchte ich stellvertretend nennen:
Da ist zunächst Hans Donat, der den Gesprächskreis Gutenberg moderiert und ehrenamtlich unzählige Stunden für dieses Projekt gearbeitet hat, der Freistaat Thüringen mit finanzieller und personeller Unterstützung, das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien, der Rotary-Club Erfurt Krämerbrücke, unser Partner von Anfang an, die Sparkassenstiftung Erfurt - Herr Bauhaus, den ich an dieser Stelle herzlich grüße, die Arbeitsgruppe "Lebens(t)räume", die seit mehr als einem Jahr an diesem Projekt arbeitet, das Artus-Atelier mit Ulrich Spannaus und seinem Team, das sich sensibel mit dem Thema auseinander gesetzt hat und last but not least alle ehrenamtlich Beteiligten, die uns dabei helfen, die Ausstellung und das Begleitprogramm attraktiv zu gestalten.
Ich wünsche allen Veranstaltungen des Projektes "Lebens(t)räume" zahlreiche und aufgeschlossene Besucher, denen die kommen, zumindest auf einen Teil ihrer Fragen plausible Antworten, wenn es sein muss kontroverse Diskussionen und natürlich auch neue Fragen. Es ist in der Tat so, wie von Hannah Arendt beschrieben: "Die Welt liegt zwischen den Menschen." Die Ausstellung ist sehr gut geeignet, über dieses "Zwischen" nachzudenken.